Der Hundeknochen
geschenkt.
56.
Judith war tüchtig. Während ich auf See gewesen war, hatte sie sich um eine Unterkunft gekümmert, ein Ferienhäuschen mit Blick aufs Meer und zwei Betten, die sie nun durch kräftiges Hopsen prüfte. »Aber erst einmal gehen wir essen. Ich habe Hunger, ich möchte Fisch und Fleisch und alles.«
Wir bestellten Seeteufel in Salsa verde und Lamm aus dem Ofen, dazu Wein für sie und Wasser für mich. Vorab aßen wir einen Salat aus Meeresfrüchten und hinterher Mandelkuchen mit Vanilleeis. Ein richtiges Festessen. Wir redeten wenig, sahen uns ständig in die Augen, fast ging es uns nicht schnell genug, und nahmen zum Schluß noch eine Flasche Sekt und mehrere Flaschen Wasser mit.
Im Ferienhaus schoben wir die Betten zusammen, benutzten dann aber doch nur eins. Auch jetzt redeten wir nicht viel.
»Quatschen können wir immer noch«, sagte Judith gleich am Anfang. »Komm, mach, oder laß mich machen!«
Wir wechselten uns ab, und als wir einmal beide still lagen, fragte sie: »Glaubst du nun, daß ich so eine bin?«
»Eine was?«
»Na, das, was ich dir auf der Fahrt ins Ohr geflüstert habe.«
»Hm.«
»Hm ja oder hm nein?«
»Hm, frag mich doch noch einmal.«
»Bin ich nicht eine schrecklich verfickte Nudel?«
»Du bist wunderbar.«
Es wurde eine schöne Nacht mit ihr. Ach, was sage ich da, es wurde die beste Nacht seit ewigen Zeiten. Zugegeben, vielleicht ein wenig spießig, weil ich nicht am Rand einer Klippe lag und wir auch nicht mit 140 über die Autobahn rasten. Aber es war schön, schön, schön.
Als ich aufwachte, war Judith schon aufgestanden. Jeden Augenblick erwartete ich, eine fröhliche Morgenstimme zu hören, die fragte: Tee oder Kaffee? Hefegebäck oder ofenwarmes Brot?
Ich wunderte mich selbst, mit welchen Erwartungen ein vom Leben gezeichneter Bock wie ich nach einer Nacht mit einem jungen, unbeschwerten Ding wie Judith aufwachte. Zum Teufel, wurde ich etwa familiär? Da fehlte nur noch, daß ich heiraten wollte und mir Kinder wünschte!
Eine Schiffssirene tutete, durch das Fenster drang der Geruch von Pinien, Seewasser und Wildkräutern. Die Sonne stand schon hoch. Raus an den Strand, in die Wellen tauchen, danach mußte ich Kurt anrufen und mit Wegener sprechen. Doch erst einmal wollte ich mich ums Frühstück kümmern, falls sie es nicht schon getan hatte.
»Judith?«
Keine Antwort.
»Judith?«
Ich schaute ins Bad. Da hing die Öljacke am Duschkopf über der Badewanne, drehte im Luftzug eine halbe Drehung nach rechts, eine halbe Drehung nach links. Gestern nacht hatte ich sie über den Stuhl an meiner Bettseite gehängt. Eine volle Minute stand ich reglos da, bis ich den Mut fand, den Klettverschluß der Innentasche aufzureißen.
Danach mußte ich mich setzen.
Gegen Mittag erfuhr ich von Kurt, daß die spanische Polizei Salm geschnappt hatte. Er war schon auf südlichem Kurs zur afrikanischen Küste gewesen. Kurt bedankte sich für den Tip. »Hast ja eine fähige Partnerin, angenehme Stimme, präzise Angaben – ist sie Geliebte oder Mitarbeiterin, du altes Schlitzohr?«
»Bin mir selbst noch nicht so sicher.«
Bis zum Abend fuhr ich über die Insel, durchstreifte die Straßen von La Sabina, San Francisco und San Fernando, fragte in den Kneipen des Touristenzentrums Es Pujols, klapperte die Strandkneipen ab und hoffte, daß meine fähige Freundin oder Mitarbeiterin von irgendwoher auf mich zuspringen würde. Jede Erklärung wäre mir recht gewesen, Jungmädchenscherz oder Test für eine sozialwissenschaftliche Untersuchung zum Thema ›Vertrauen und Liebe‹.
Nichts, nada.
Am Montag, nach Anrufen bei ihr zu Hause, im Schuhgeschäft und in der Duisburger Uni überlegte ich, ob ich einen Detektiv auf sie ansetzen sollte. Aber ich kannte keinen, zumindest keinen guten.
Ich blieb auf Formentera. Zwar sagte mir mein Verstand, daß sie wahrscheinlich schon auf dem Weg zu ihren geliebten Schneeleoparden war, in Tibet oder sonstwo. Bei ihrem Hang zu Typen mit großen Füßen würde sich diese süße, verfickte Nudel sicher mit dem Yeti anfreunden, das Talent dazu hatte sie. So sprach mein Verstand, aber warum sollte ich gerade jetzt auf meinen Verstand hören? Mein Gefühl gaukelte mir vor, daß Judith noch auf der Insel war.
Also suchte ich weiter nach ihr.
In San Francisco begegnete mir Werner Stoll mit einer neuen Freundin, später ich sah den Bildhauer Jasper mit seiner großen Klappe, den Althippie mit seiner Gitarre und noch ein paar
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