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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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Anzeichen konnte man, wenn man sie ansah,
meinen, daß sie sich jetzt selbst darüber freute, daß der Spaß sich
immer länger und länger ausdehnte; und diese ganze Umwandlung ging bei
ihr gerade in dem Augenblick vor, als die immer zunehmende Verlegenheit
des Fürsten ganz deutlich wurde.
    »Erst lachen sie wie die Unsinnigen, und dann wird auf einmal von
der größten Hochachtung gesprochen! Verrücktes Volk! Was soll hier die
Hochachtung? Sag mal sofort, warum du so aus heiler Haut auf einmal von
der größten Hochachtung redest!«
    »Von der größten Hochachtung«, erwiderte Aglaja ebenso ernst und
nachdrücklich auf die ärgerliche Frage der Mutter, »von der größten
Hochachtung rede ich deshalb, weil in diesen Versen ein Mensch
geschildert wird, der fähig ist, erstens ein Ideal zu haben und
zweitens, nachdem er sich einmal ein solches Ideal aufgerichtet hat, an
dasselbe zu glauben und ihm blind sein ganzes Leben zu weihen. So etwas
kommt in unserer Zeit nicht alle Tage vor. Dort, in diesen Versen, ist
nicht gesagt, worin eigentlich das Ideal des ›armen Ritters‹ bestand;
aber man sieht, daß es eben ein leuchtendes Ideal war, ›das Ideal der
reinen Schönheit‹, und daß der verliebte Ritter sich sogar statt der
Schärpe einen Rosenkranz um den Hals band. Allerdings ist da noch von
einer dunklen, nur andeutenden Devise die Rede, den Buchstaben A.N.B.,
die er auf seinen Schild geschrieben hatte ...«
    »A.N.D.«, verbesserte Kolja.
    »Ich sage aber A.N.B. und will dabei bleiben«, unterbrach ihn Aglaja
ärgerlich. »Wie es sich damit auch verhalten mag, soviel ist klar, daß
es diesem ›armen Ritter‹ nun ganz gleichgültig war, wer seine Dame war,
und was sie tat. Ihm genügte es, sie sich ausgewählt zu haben und an
ihre ›reine Schönheit‹ zu glauben; und nun verehrte er sie sein ganzes
Leben lang; gerade darin besteht sein Verdienst, daß er, selbst wenn
sie später zur Diebin würde, doch an sie glauben und für ihre reine
Schönheit eine Lanze brechen müßte. Der Dichter scheint beabsichtigt zu
haben, in der auffallenden Gestalt eines reinen, hochgesinnten Ritters
den ganzen gewaltigen Begriff der mittelalterlichen, ritterlichen
platonischen Liebe zur zusammenfassenden Darstellung zu bringen;
selbstverständlich ist das alles ein Ideal. In dem ›armen Ritter‹ hat
dieses Gefühl schon die höchste Stufe erreicht, die Askese; man muß
gestehen, daß die Fähigkeit zu einem solchen Gefühl einen hohen Wert
hat, und daß solche Gefühle einen bedeutsamen und unter Umständen sehr
löblichen Charakterzug bilden, wobei ich nicht gerade Don Quijote
meine. Der ›arme Ritter‹ ist eine Art Don Quijote, aber ein ernster,
nicht ein komischer. Ich habe ihn am Anfang nicht verstanden und über
ihn gelacht; aber jetzt liebe ich den ›armen Ritter‹, und vor allen
Dingen schätze ich seine Taten hoch.«
    Damit schloß Aglaja, und wenn man sie ansah, konnte man schwer daraus klug werden, ob sie im Ernst sprach oder scherzte.
    »Na, ein Dummkopf ist er, er und seine Taten!« urteilte die
Generalin kurz. »Aber du, liebes Kind, bist ganz ins Schwatzen
hineingekommen; das war ja eine ordentliche Vorlesung; aber meiner
Ansicht nach steht dir das gar nicht gut; jedenfalls ist es unpassend.
Was sind das für Verse? Sag sie mal auf; du kannst sie doch sicher
auswendig! Ich will diese Verse unbedingt kennenlernen. Mein ganzes
Leben lang habe ich Verse nicht leiden können, als hätte ich eine
Ahnung gehabt, daß ich mich bloß darüber ärgern würde. Um Gottes
willen, Fürst, werde nicht böse! Wir beide, du und ich, müssen, wie es
scheint, es zusammen ertragen«, sagte sie, zu dem Fürsten Ljow
Nikolajewitsch gewendet. Sie war sehr aufgebracht.
    Fürst Ljow Nikolajewitsch wollte schon etwas sagen, konnte aber
wegen seiner immer noch andauernden Verlegenheit nichts herausbringen.
Aglaja hingegen, die sich in ihrer »Vorlesung« soviel herausgenommen
hatte, zeigte keine Spur von Verlegenheit mehr, sondern schien sich im
Gegenteil zu freuen. Sie stand sofort auf, mit derselben ernsten,
bedeutsamen Miene wie vorher; es machte den Eindruck, als hätte sie
sich darauf vorbereitet und nur auf eine Aufforderung gewartet. In die
Mitte der Veranda tretend, stellte sie sich gerade vor den Fürsten hin,
der auf seinem Lehnstuhl sitzenblieb. Alle blickten sie einigermaßen
erstaunt an, und fast alle, Fürst Schtsch., die Schwestern und die
Mutter, sahen mit einem unangenehmen Gefühl dem neuen, in der
Vorbereitung

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