Der Idiot
nicht minder gleichzeitig ihr Ärger über sich
selbst wegen dieser Verlegenheit.
»Auch Ihre eigenen Worte hat er oft genug verdreht!« fügte sie hinzu.
»Ich wiederhole nur Ihren eigenen Ausspruch!« rief Kolja. »Vor einem
Monat blätterten Sie im Don Quijote und riefen dabei aus, es gebe doch
nichts Besseres als den armen Ritter. Ich weiß nicht, auf wen sich das
damals beziehen sollte: ob auf Don Quijote oder auf Jewgeni Pawlowitsch
oder auf noch jemand anders; aber jedenfalls meinten Sie damit irgend
jemand, und es entspann sich darüber ein langes Gespräch ...«
»Ich sehe, daß du dir mit deinen Vermutungen doch gar zu viel
herausnimmst, mein Lieber!« unterbrach ihn Lisaweta Prokofjewna
ärgerlich.
»Aber bin ich denn der einzige, der davon spricht?« versetzte Kolja, der sich nicht den Mund verbieten ließ.
»Alle haben damals davon gesprochen und sprechen auch jetzt noch
davon, da gleich Fürst Schtsch. und Adelaida Iwanowna. Und alle haben
erklärt, daß sie auf seiten des ›armen Ritters‹ stehen; also muß doch
der ›arme Ritter‹ existieren und existiert jedenfalls, und wenn nur
Adelaida Iwanowna wollte, so würden wir meiner Ansicht nach alle schon
längst wissen, wer der ›arme Ritter‹ ist.«
»Inwiefern soll ich denn daran schuld sein?« fragte Adelaida lachend.
»Sie wollten sein Porträt nicht zeichnen; insofern sind Sie daran
schuld! Aglaja Iwanowna bat Sie damals, das Porträt des ›armen Ritters‹
zu zeichnen, und setzte Ihnen den ganzen Vorwurf des Bildes
auseinander, den sie sich selbst ausgesonnen hatte; erinnern Sie sich
noch an diesen Vorwurf? Aber Sie wollten es nicht ...«
»Wie hätte ich den Betreffenden denn zeichnen sollen? In der Beschreibung wird doch von diesem ›armen Ritter‹ gesagt:
›Niemals in die Höhe schlug er
Vorm Gesichte das Visier.‹
Was konnte dabei also für ein Gesicht herauskommen? Was sollte ich zeichnen? Ein Visier? Einen Anonymus?«
»Ich verstehe von alledem nichts; was ist das nun wieder für ein
Visier?« ereiferte sich die Generalin, die im stillen sehr wohl zu
begreifen anfing, wer unter der wahrscheinlich schon lange geläufigen
Benennung ›der arme Ritter‹ verstanden wurde. Aber ganz besonders
ärgerte sie sich darüber, daß Fürst Ljow Nikolajewitsch ebenfalls
verlegen geworden war und schließlich eine solche Befangenheit
bekundete wie ein zehnjähriger Junge.
»Nun also, wird diese Dummheit endlich zu Ende kommen? Wird mir nun
erläutert werden, was dieser ›arme Ritter‹ bedeutet? Ist das etwa ein
so furchtbares Geheimnis, daß man gar nicht daran rühren darf?«
Aber alle lachten nur weiter.
»Es ist ganz einfach ein merkwürdiges russisches Gedicht«, ergriff
endlich Fürst Schtsch. das Wort, offenbar mit dem Wunsch, die Sache
möglichst schnell zu erledigen und dem Gespräch eine andere Wendung zu
geben, »ein Gedicht über einen ›armen Ritter‹, ein Fragment ohne Anfang
und ohne Schluß. Vor einem Monat scherzten wir einmal alle nach Tisch
und suchten wie gewöhnlich nach einem Vorwurf für ein künftiges Bild
Adelaida Iwanownas. Sie wissen, daß es bereits zu einer Art von
Familiensport geworden ist, Vorwürfe für Adelaida Iwanownas Bilder
ausfindig zu machen. Da verfielen wir auch auf den ›armen Ritter‹; wer
zuerst auf diesen Einfall kam, weiß ich nicht mehr ...«
»Aglaja Iwanowna war es!« rief Kolja.
»Mag sein; ich will es nicht bestreiten, obwohl ich mich nicht
erinnere«, fuhr Fürst Schtsch. fort. »Die einen spotteten über dieses
Sujet; andere dagegen meinten, man könne sich gar nichts Höheres
ausdenken. Aber um den ›armen Ritter‹ darzustellen, dazu war unter
allen Umständen ein Gesicht als Modell erforderlich; so musterten wir
denn die Gesichter aller unserer Bekannten; aber kein einziges taugte
dazu; daran scheiterte die Sache. Das ist alles. Es ist mir
unverständlich, warum Nikolai Ardalionowitsch es hier hat erwähnen und
erörtern mögen. Was früher und bei bestimmtem Anlaß komisch war, hat
jetzt alles Interesse verloren.«
»Er hat es eben getan, weil da wieder irgendeine neue Dummheit
dahintersteckt, eine boshafte, verletzende Dummheit«, bemerkte Lisaweta
Prokofjewna scharf.
»Es steckt gar keine Dummheit dahinter, sondern vielmehr die größte
Hochachtung«, sagte Aglaja mit ganz unerwartetem Ernst und Nachdruck.
Es war ihr inzwischen gelungen, sich wieder vollständig in ihre Gewalt
zu bekommen und ihre frühere Verlegenheit zu unterdrücken.
Ja, auf Grund gewisser
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