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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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allgemeines und
ungewöhnlich starkes Aufsehen erregte, dergestalt, daß sogar alles, was
die Gesellschaft bisher interessiert hatte, in den Hintergrund trat und
vergessen wurde. Es machte den Eindruck, als lege man diesem
Kostümwechsel eine besondere Wichtigkeit bei. Adelaida und Alexandra
fragten den jungen Mann verwundert, was das zu bedeuten habe; Fürst
Schtsch., sein Verwandter, redete darüber in großer Unruhe, der General
sogar beinah in Aufregung. Nur Aglaja musterte den neuen Zivilisten
einen Augenblick zwar neugierig, aber doch mit vollkommener Seelenruhe,
als wolle sie lediglich durch Vergleichung feststellen, ob ihm der
Militär-oder der Zivilanzug besser stehe, wandte sich aber dann gleich
wieder von ihm ab und sah ihn nachher nicht weiter an. Auch Lisaweta
Prokofjewna hatte keine Lust, Fragen an ihn zu richten, obgleich sie
sich vielleicht ebenfalls einigermaßen beunruhigte. Es schien dem
Fürsten, daß Jewgeni Pawlowitsch bei ihr in Ungnade stand.
    »Ich war ganz verwundert, höchst erstaunt!« erwiderte Iwan
Fjodorowitsch auf alle Fragen. »Ich traute meinen Augen nicht, als ich
ihm vorhin in Petersburg begegnete. Und warum so plötzlich? Das ist mir
ein reines Rätsel. Er selbst proklamiert es immer als sei nen
Grundsatz, man müsse sich stets vor Heftigkeit hüten.«
    Bei dem sich nunmehr entwickelnden Gespräch ergab sich, daß Jewgeni
Pawlowitsch sich seinen Bekannten gegenüber schon lange dahin geäußert
hatte, daß er den Abschied zu nehmen gedenke; aber er hatte jedesmal in
so wenig ernstem Ton darüber gesprochen, daß es unmöglich war, ihm zu
glauben. Er sprach nämlich auch von ernsthaften Dingen immer mit so
scherzhafter Miene, daß man gar nicht aus ihm klug werden konnte,
besonders wenn er es selbst nicht wünschte.
    »Ich bin ja nur zeitweilig, auf einige Monate, höchstens auf ein Jahr ausgetreten«, sagte Radomski lachend.
    »Aber soweit ich wenigstens Ihre Verhältnisse kenne, liegt doch gar kein Grund dazu vor«, ereiferte sich der General immer noch.
    »Muß ich denn nicht auch einmal meine Güter besichtigen? Sie haben
es mir ja selbst geraten. Und außerdem möchte ich auch ins Ausland
reisen ...«
    Das Gespräch wendete sich übrigens bald anderen Gegenständen zu;
aber die eigenartige und immer noch fortdauernde Unruhe überschritt
doch nach der Meinung des alles beobachtenden Fürsten die Grenzen des
Gewöhnlichen, und es mußte da wohl etwas Besonderes dahinterstecken.
    »Also der ›arme Ritter‹ ist auch wieder aufs Tapet gebracht?« fragte Jewgeni Pawlowitsch, indem er an Aglaja herantrat.
    Zur Verwunderung des Fürsten blickte diese ihn erstaunt und fragend
an, wie wenn sie ihm zu verstehen geben wollte, daß zwischen ihnen
beiden von dem »armen Ritter« nicht die Rede gewesen sein könne, und
daß sie die Frage überhaupt nicht verstehe.
    »Aber es ist zu spät, es ist viel zu spät jetzt, um nach der Stadt
zu schicken und einen Puschkin holen zu lassen, viel zu spät!« stritt
Kolja mit Lisaweta Prokofjewna energisch und hitzig. »Zum
dreitausendstenmal sage ich Ihnen: es ist zu spät!«
    »Ja, es dürfte vielleicht zu spät dazu sein, um jetzt noch nach der
Stadt zu schicken«, mischte sich unvermutet Jewgeni Pawlowitsch ein,
der möglichst schnell von Aglaja loszukommen suchte. »Ich glaube, die
Läden werden in Petersburg schon geschlossen sein; es ist ja bald neun
Uhr«, sagte er, die Uhr herausziehend.
    »Sind wir solange ohne einen Puschkin ausgekommen, dann können wir auch noch bis morgen warten«, meinte Adelaida.
    »Und für vornehme Leute ist es nicht einmal schicklich, sich für die
Literatur besonders zu interessieren«, fügte Kolja hinzu. »Fragen Sie
nur Jewgeni Pawlowitsch! Weit passender interessieren sich solche Leute
für einen gelben char à banc mit roten Rädern.«
    »Das haben Sie gewiß wieder aus einem Buch, Kolja!« bemerkte Adelaida.
    »Alles, was er sagt, hat er aus Büchern«, stimmte Jewgeni
Pawlowitsch bei. »Er reproduziert ganze Sätze aus den kritischen
Revuen. Ich habe schon lange das Vergnügen, Nikolai Ardalionowitschs
Redeweise zu kennen; aber diesmal hat er nun doch nicht aus einem Buch
zitiert. Nikolai Ardalionowitsch macht eine deutliche Anspielung auf
meinen gelben char à banc mit roten Rädern. Nur habe ich diesen Wagen
bereits vertauscht, so daß Sie mit Ihrer Bemerkung zu spät kommen.«
    Der Fürst hörte das, was Radomski sagte, mit an. Er hatte den
Eindruck, daß dessen Benehmen recht nett, bescheiden und heiter

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