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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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an diesen ganzen Vorgang
erinnerte, so quälte er sich lange ratlos mit einer für ihn unlösbaren
Frage ab: wie es möglich war, eine so echte, schöne Empfindung mit so
offenbarem, boshaftem Spott zu vereinigen. Denn daß wirklich Spott
dahintersteckte, daran zweifelte er nicht; das fühlte er deutlich, und
er hatte zu seiner Auffassung seine guten Gründe: beim Deklamieren
hatte sich Aglaja erlaubt, die Buchstaben A.N.D. mit den Buchstaben
N.F.B. zu vertauschen. Daß hier kein Irrtum und kein Verhören
seinerseits vorlag, daran konnte er nicht zweifeln (die Folgezeit
lieferte den Beweis für die Richtigkeit seiner Ansicht). Jedenfalls war
Aglajas Ausschreitung (die sicherlich nur als Scherz gemeint, aber doch
gar zu keck und leichtsinnig war) vorher überlegt gewesen. Von dem
»armen Ritter« hatten alle gesprochen und sich darüber amüsiert, schon
vor einem Monat. Und trotzdem mußte der Fürst, wie sehr er auch später
sein Gedächtnis anstrengte, zugeben, daß Aglaja jene Buchstaben nicht
nur ohne jeden scherzhaften oder spöttischen Beiklang, nicht nur ohne
eine besondere Betonung, die ihren geheimen Sinn stärker hervorgehoben
hätte, sondern im Gegenteil mit so unverändertem Ernst, mit einer
solchen unschuldigen, naiven Einfachheit gesprochen hatte, daß man
hätte denken können, eben jene Buchstaben hätten in dem Gedicht
gestanden, und es wäre so in dem Buch gedruckt gewesen. Es lag in ihrem
Verhalten etwas, was den Fürsten peinlich verletzte. Lisaweta
Prokofjewna hatte es natürlich nicht verstanden und weder die
Vertauschung der Buchstaben noch die Anspielung gemerkt. General Iwan
Fjodorowitsch begriff weiter nichts, als daß da ein Gedicht deklamiert
wurde. Von den übrigen Zuhörern hatten sehr viele die Ausschreitung
gemerkt und sich über deren Kühnheit und Tendenz gewundert; aber sie
schwiegen und bemühten sich, harmlose Gesichter zu machen. Jewgeni
Pawlowitsch jedoch hatte (darauf hätte der Fürst wetten mögen) nicht
nur verstanden, sondern bestrebte sich auch, dies durch seine Miene zu
zeigen: er lächelte überaus spöttisch.
    »Ein reizendes Gedicht«, rief die Generalin in aufrichtigem Entzücken, sobald die Deklamation zu Ende war.
    »Von wem ist es denn?«
    »Von Puschkin, Mama. Machen Sie uns doch nicht solche Schande; man muß sich ja schämen!« rief Adelaida.
    »Ihr stellt einen aber auch immer als Dummkopf hin!« erwiderte
Lisaweta Prokofjewna gekränkt. »Schämt euch! Sowie wir nach Hause
kommen, müßt ihr mir dieses Puschkinsche Gedicht geben.«
    »Ich glaube, wir besitzen überhaupt keinen Puschkin.«
    »Seit wer weiß wie langer Zeit liegen bei uns zwei ramponierte Bände herum«, fügte Alexandra hinzu.
    »Dann schickt sofort jemanden nach der Stadt, um ein Exemplar zu
kaufen, Fjodor oder Alexej, gleich mit dem nächsten Zug, am besten
Alexej. Aglaja, komm einmal her! Gib mir einen Kuß; du hast sehr schön
deklamiert; aber wenn du es ernst gemeint hast«, fügte sie beinah
flüsternd hinzu, »so tust du mir leid; und wenn du ihn hast verspotten
wollen, dann billige ich dein Benehmen nicht; dann wäre es jedenfalls
besser gewesen, die Deklamation ganz zu unterlassen. Verstanden? Geh,
mein Kind, ich werde noch mit dir darüber reden; aber wir haben hier
schon zu lange gesessen.«
    Unterdessen hatte der Fürst den General Iwan Fjodorowitsch begrüßt,
und der General hatte ihm Jewgeni Pawlowitsch Radomski vorgestellt.
    »Ich habe ihn in Petersburg unterwegs getroffen, und wir sind beide
eben erst mit dem Zug angekommen. Er hörte, daß ich hierher ginge, und
daß auch alle meine Angehörigen ...«
    »Ich hörte, daß auch Sie hier in Pawlowsk seien«, unterbrach ihn
Jewgeni Pawlowitsch; »und da ich mir schon längst fest vorgenommen
hatte, nicht nur Ihre Bekanntschaft zu suchen, sondern auch nach Ihrer
Freundschaft zu streben, so wollte ich keine Zeit verlieren. Sie sind
nicht wohl? Ich habe es eben erst gehört ...«
    »Ich bin ganz gesund und freue mich sehr, Sie kennenzulernen; Fürst
Schtsch. hat mir viel von Ihnen erzählt, und ich habe sogar viel mit
ihm von Ihnen gesprochen«, antwortete Ljow Nikolajewitsch, indem er ihm
die Hand reichte.
    Sie wechselten einige höfliche Worte, drückten einander die Hände
und blickten sich gegenseitig prüfend in die Augen. Es entspann sich
sofort ein gemeinsames Gespräch. Der Fürst bemerkte (und er bemerkte
jetzt alles rasch und eifrig, vielleicht sogar Dinge, die gar nicht
existierten), daß Jewgeni Pawlowitschs Zivilanzug ein

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