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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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begriffenen Schelmenstreich entgegen, der jedenfalls etwas
weit zu gehen drohte. Aber Aglaja fand offenbar ihr Vergnügen an dem
affektierten Benehmen, mit dem sie sich zu der Deklamation der Verse
anschickte. Lisaweta Prokofjewna war schon nahe daran, sie mit
energischen Worten von dort wegzurufen und auf ihren Platz
zurückzuschicken; aber gerade in dem Augenblick, als Aglaja die
bekannte Ballade zu deklamieren begann, traten zwei neue Gäste, die in
lautem Gespräch begriffen waren, von der Straße in die Veranda. Dies
waren der General Iwan Fjodorowitsch Jepantschin und hinter ihm ein
junger Mann. Ihr Erscheinen rief bei den bereits Anwesenden eine kleine
Aufregung hervor.

VII
    Der junge Mann, der den General begleitete, war ungefähr
achtundzwanzig Jahre alt, hochgewachsen, schlank, mit einem schönen,
verständigen Gesicht und großen, schwarzen, klug und spöttisch
blickenden Augen. Aglaja sah sich gar nicht nach ihm um und deklamierte
ruhig das Gedicht weiter, indem sie fortfuhr, nur den Fürsten
anzusehen, und sich nur an ihn allein wandte. Dem Fürsten war klar, daß
sie dies alles mit irgendeiner besonderen Absicht tat. Aber wenigstens
trugen die neuen Gäste einigermaßen zur Verbesserung seiner
unbehaglichen Situation bei. Als er sie erblickte, erhob er sich,
nickte dem General von weitem freundlich zu und machte ein Zeichen, daß
sie die Deklamation nicht unterbrechen möchten; er selbst aber
retirierte sich hinter seinen Lehnstuhl, wo er, mit dem linken Arm auf
die Lehne gestützt, die Ballade weiter mit anhörte, sozusagen in
gesicherter und nicht so komischer Stellung wie vorher, als er auf dem
Lehnstuhl saß. Lisaweta Prokofjewna winkte ihrerseits den Ankömmlingen
mit gebieterischen Handbewegungen zu, sie möchten stehenbleiben.
    Der Fürst interessierte sich übrigens sehr für seinen neuen Gast,
der mit dem General gekommen war; er vermutete mit Bestimmtheit in ihm
Jewgeni Pawlowitsch Radomski, von dem er schon viel gehört und an den
er schon oft gedacht hatte. Nur machte ihn dessen Zivilanzug stutzig,
da er gehört hatte, daß Jewgeni Pawlowitsch Offizier sei. Ein
spöttisches Lächeln spielte während der ganzen Dauer der Deklamation um
die Lippen des neuen Gastes, als wenn er bereits etwas von dem ›armen
Ritter‹ gehört hätte.
    »Vielleicht rührt der ganze Gedanke von ihm her«, dachte der Fürst im stillen.
    Aber mit Aglaja war eine große Veränderung vorgegangen. Statt der
ursprünglichen Affektiertheit und Wichtigtuerei, mit der sie zum
Deklamieren vorgetreten war, zeigte sie einen solchen Ernst und ein so
tiefes Eindringen in den Geist und Sinn des dichterischen Erzeugnisses,
sie sprach jedes Wort des Gedichtes mit solchem Verständnis, sie trug
die Verse mit so vollendeter Schlichtheit vor, daß sie, als die
Deklamation beendet war, nicht nur die allgemeine Aufmerksamkeit
gefesselt, sondern auch durch die Wiedergabe des hohen geistigen
Gehaltes der Ballade jene besondere, affektierte Feierlichkeit, mit der
sie so triumphierend in die Mitte der Veranda getreten war,
nachträglich gewissermaßen zum Teil gerechtfertigt hatte. In diesem
feierlichen Wesen konnte man jetzt nur ihre grenzenlose und vielleicht
naive Hochachtung vor demjenigen sehen, was sie wiederzugeben
unternommen hatte. Ihre Augen leuchteten, und ein leiser, kaum
bemerkbarer Schauer der Begeisterung und des Entzückens lief einigemal
über ihr schönes Gesicht. Sie deklamierte:
    »Einstmals lebt' ein armer Ritter,
    Schweigsam, herzensgut und schlicht;
    Kühn mit jedem Feinde stritt er,
    Ernst und blaß war sein Gesicht.
    In Verzückung war erschienen
    Ihm ein himmlisch Frauenbild,
    Nie vergaß er dessen Mienen,
    Hehr und edel, hold und mild.
    Ganz der Heiligen ergeben,
    Mied er alle Frau'n hinfort,
    Gönnt' in seinem ganzen Leben
    Keinem ird'schen Weib ein Wort.
    Und ein Paternoster trug er
    Um den Hals als sondre Zier;
    Niemals in die Höhe schlug er
    Vorm Gesichte das Visier.
    Dieser Rittersmann, getrieben
    Von des Herzens reiner Glut,
    Hat auf seinen Schild geschrieben
    A.N.D. mit seinem Blut.
    Als ins heil'ge Land sie kamen,
    Rief ein jeder Christenheld
    Seiner edlen Dame Namen
    In der Schlacht auf blut'gem Feld.
    ›Lumen coeli, sancta rosa!‹
    Rief jedoch mit wildem Blick
    Unser Ritter; solch Gedroh sah
    Scheu der Feind und wich zurück.
    Heimgekehrt zur Burg der Väter,
    Lebt' er fort, ein trüber Tropf,
    Immer einsam, bis er später
    Starb, nicht ganz normal im Kopf.«
    Wenn der Fürst in späterer Zeit sich

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