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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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gleich beim ersten Blick vermutete, sie sei es, obwohl ich
sie niemals gesehen habe. Lassen Sie mich wenigstens zum letztenmal in
meinem Leben eine wirkliche Schönheit sehen!« fügte Ippolit mit einem
ungeschickten, schiefen Lächeln hinzu. »Es ist ja auch der Fürst hier
und Ihr Gemahl und die ganze Gesellschaft. Warum wollen Sie mir meinen
letzten Wunsch abschlagen?«
    »Einen Stuhl!« rief Lisaweta Prokofjewna; aber sie ergriff selbst
einen und setzte sich Ippolit gegenüber hin. »Kolja!« befahl sie,
»brich gleich mit ihm auf und bring ihn nach Hause, und morgen werde
ich bestimmt selbst ...«
    »Wenn Sie erlauben, würde ich den Fürsten um eine Tasse Tee bitten
... Ich bin sehr müde. Wissen Sie was, Lisaweta Prokofjewna, Sie
wollten ja wohl den Fürsten zum Teetrinken mit zu sich nach Hause
nehmen: bleiben Sie doch hier; lassen Sie uns eine Weile zusammen sein;
der Fürst wird gewiß uns allen, die wir hier sind, Tee geben lassen.
Verzeihen Sie, daß ich solche Anordnungen treffe ...! Aber ich kenne
Sie ja, Sie sind eine gute Frau, und auch der Fürst ist ein guter
Mensch ... wir sind sämtlich lächerlich gute Leute ...«
    Der Fürst geriet in geschäftige Bewegung; Lebedjew stürzte Hals über Kopf davon, Wjera lief hinter ihm her.
    »Sei es so!« stimmte die Generalin ihm kurz bei. »Rede, aber leise,
und reg dich nicht auf! Du tust mir leid ...! Fürst, du verdienst
nicht, daß ich bei dir Tee trinke; aber ich will meinetwegen
hierbleiben, wiewohl ich niemanden um Verzeihung bitte, niemanden!
Unsinn! Übrigens, wenn ich vorhin auf dich geschimpft habe, so verzeih
mir das ... das heißt, wenn du willst. Übrigens will ich niemanden hier
zurückhalten«, wandte sie sich mit höchst zorniger Miene an ihren Mann
und an ihre Töchter, als ob auch diese ihr irgendein schweres Unrecht
angetan hätten. »Ich kann auch allein nach Hause zurückgehen ...«
    Aber man ließ sie nicht zu Ende sprechen. Alle tra ten heran und
umringten sie dienstfertig. Der Fürst bat sofort alle, zum Tee
dazubleiben, und entschuldigte sich, daß er bisher nicht daran gedacht
habe. Selbst der General war so liebenswürdig, ein paar Worte der
Beruhigung zu murmeln und Lisaweta Prokofjewna freundlich zu fragen, ob
es ihr auf der Veranda auch nicht zu kühl sei. Er setzte sogar schon
dazu an, Ippolit zu fragen, ob er schon lange auf der Universität sei,
tat es aber doch nicht. Jewgeni Pawlowitsch und Fürst Schtsch. wurden
auf einmal sehr liebenswürdig und heiter, und auf Adelaidas und
Alexandras Gesichtern wurde durch das fortdauernde Erstaunen hindurch
sogar ein Ausdruck von Zufriedenheit sichtbar; kurz, alle waren
augenscheinlich froh, daß die Krisis bei Lisaweta Prokofjewna vorüber
war. Nur Aglaja machte ein finsteres Gesicht und setzte sich schweigend
abseits. Auch die ganze übrige Gesellschaft blieb da; keiner wollte
fortgehen, nicht einmal General Iwolgin, dem Lebedjew im Vorübergehen
etwas zuflüsterte, wahrscheinlich nichts sehr Angenehmes, da der
General sogleich in einen Winkel verschwand. Der Fürst trat mit seiner
Einladung auch an Burdowski und dessen Begleitung heran, ohne jemand zu
übergehen. Sie murmelten mit gezwungenen Mienen, sie würden auf Ippolit
warten, und zogen sich sofort nach dem fernsten Winkel der Veranda
zurück, wo sie sich wieder alle in einer Reihe hinsetzten.
Wahrscheinlich war der Tee in Lebedjews Wohnung schon lange für die
Familie fertig; denn er wurde sofort gebracht. Es schlug elf Uhr.

X
    Ippolit benetzte seine Lippen an der Tasse Tee, die ihm Wjera
Lebedjewa gereicht hatte, stellte die Tasse auf ein Tischchen und
blickte verlegen und befangen rings um sich.
    »Sehen Sie einmal diese Tassen, Lisaweta Prokofjewna«, sagte er mit
seltsamer Hast; »diese Porzellantassen, die wohl von vorzüglichem
Porzellan sind, hat Lebedjew immer in einer verschlossenen Chiffonière
hinter Glas stehen; sie werden nie herausgegeben ... wie das so Sitte
ist; sie haben zur Mitgift seiner Frau gehört ... das ist bei diesen
Leuten so Sitte ... und nun hat er sie doch für uns herausgegeben,
natürlich Ihnen zu Ehren; so hat er sich gefreut ...«
    Er wollte noch etwas hinzufügen, konnte aber nicht gleich die richtigen Worte finden.
    »Er ist ganz verlegen geworden; das hatte ich doch erwartet!«
flüsterte Jewgeni Pawlowitsch dem Fürsten ins Ohr. »Das ist doch wohl
gefährlich, nicht wahr? Ein ganz sicheres Anzeichen dafür, daß er jetzt
aus Trotz irgendeine so arge Absonderlichkeit begehen wird, daß

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