Der Idiot
schwärmt immer von dir;
du unterweist ihn im Atheismus, du glaubst nicht an Gott; und dabei
stehst du in einem Alter, daß du noch Hiebe bekommen könntest, mein
Verehrter! Pfui über euch ...! Also, Fürst Ljow Nikolajewitsch, wirst
du wirklich morgen zu ihnen hingehen, ja?« fragte sie wieder fast
atemlos den Fürsten.
»Ja, ich werde hingehen.«
»Dann kenne ich dich nicht mehr!« Sie drehte sich schnell um, um
wegzugehen, kehrte aber plötzlich wieder zurück. »Wirst du auch zu
diesem Atheisten gehen?« Sie zeigte auf Ippolit. »Aber warum lächelst
du denn über mich?« schrie sie mit seltsam klingender Stimme und
stürzte auf Ippolit los, dessen spöttisches Lächeln sie nicht ertragen
konnte.
»Lisaweta Prokofjewna! Lisaweta Prokofjewna! Lisaweta Prokofjewna!« wurde von allen Seiten zugleich gerufen.
»Mama, das ist eine Schande!« rief Aglaja laut.
»Beunruhigen Sie sich nicht, Aglaja Iwanowna!« antwortete Ippolit
ruhig; Lisaweta Prokofjewna hatte ihn beim Arm gepackt und hielt diesen
aus nicht recht verständlichem Grund fest; sie stand vor ihm und
durchbohrte ihn förmlich mit ihrem wütenden Blick. »Beunruhigen Sie
sich nicht! Ihre Mama wird schon selbst zu der Einsicht kommen, daß man
sich an einem Sterbenden nicht vergreifen darf ... Ich bin bereit, eine
Erklärung darüber abzugeben, warum ich gelacht habe ..., und werde mich
sehr freuen, wenn man es mir verstattet ...«
Hier überfiel ihn plötzlich ein heftiger Husten, den er eine ganze Minute lang nicht stillen konnte.
»Er ist schon im Verscheiden und hält immer noch Reden!« rief
Lisaweta Prokofjewna. Sie ließ seinen Arm los und sah erschrocken, wie
er sich das Blut von den Lippen wischte. »Wozu willst du denn noch
reden? Du mußt einfach hingehen und dich ins Bett legen ...«
»Das wird auch geschehen«, erwiderte Ippolit leise, fast flüsternd,
mit heiserer Stimme. »Sobald ich heute nach Hause komme, werde ich mich
gleich hinlegen ... binnen vierzehn Tagen werde ich sterben, das weiß
ich ... In der vorigen Woche hat es mir B...n selbst gesagt ... Also
wenn Sie gestatten, möchte ich Ihnen noch ein paar Worte zum Abschied
sagen.«
»Aber hast du denn den Verstand verloren? Was? Das ist ja Unsinn! In
ärztliche Behandlung mußt du; was hat es für Sinn, jetzt Gespräche zu
führen! Geh, geh und leg dich ins Bett!« rief Lisaweta Prokofjewna
erschrocken.
»Wenn ich mich hinlege, so werde ich ja bis zu meinem Tode nicht wieder aufstehen«, versetzte Ippolit lächelnd.
»Ich wollte mich schon gestern hinlegen, um vor dem Tod nicht wieder
aufzustehen, verschob es aber um zwei Tage, solange mich die Beine noch
tragen ... um heute mit denen hierher zu gehen ... Aber ich bin sehr
müde ...«
»So setz dich doch, setz dich doch! Warum stehst du? Da hast du
einen Stuhl!« rief Lisaweta Prokofjewna eifrig und schob ihm selbst
einen Stuhl hin.
»Ich danke Ihnen«, fuhr Ippolit leise fort. »Setzen Sie sich mir
gegenüber, dann wollen wir miteinander sprechen ... Wir müssen
unbedingt miteinander sprechen, Lisaweta Prokofjewna; jetzt bestehe ich
darauf ...« Er lächelte wieder. »Bedenken Sie, daß ich heute zum
letztenmal in der freien Luft und unter Menschen bin und in zwei Wochen
aller Wahrscheinlichkeit nach in der Erde liegen werde. Also wird das
eine Art Abschied von den Menschen und von der Natur sein. Ich bin zwar
nicht sehr sentimental; aber denken Sie sich: ich freue mich doch sehr,
daß dies alles gerade hier in Pawlowsk vorgegangen ist; man sieht hier
doch wenigstens einen grünen Baum.«
»Aber wozu willst du denn jetzt ein Gespräch führen?« wandte
Lisaweta Prokofjewna ein, die immer ängstlicher wurde. »Du fieberst ja
vollständig. Vorhin kreischtest und quiektest du, und jetzt bekommst du
kaum Luft und bist am Ersticken!«
»Ich werde mich gleich wieder erholen. Warum wollen Sie mir meinen
letzten Wunsch abschlagen ...? Wissen Sie, ich habe schon lange im
stillen davon phantasiert, mit Ihnen einmal zusammenzukommen, Lisaweta
Prokofjewna; ich habe viel von Ihnen gehört ... durch Kolja; der ist ja
fast der einzige, der mich nicht verlassen hat ... Sie sind eine
eigenartige Frau, eine exzentrische Frau; das habe ich jetzt selbst
gesehen ... Wissen Sie wohl, daß ich Sie sogar ein bißchen geliebt
habe?«
»O Gott, und ich hätte ihn wahrhaftig beinah geschlagen!«
»Aglaja Iwanowna hat Sie davon zurückgehalten. Ich irre mich doch
nicht? Das ist doch Ihre Tochter Aglaja Iwanowna? Sie ist so schön, daß
ich vorhin
Weitere Kostenlose Bücher