Der Idiot
höchsten Grad des Entzückens aus.
»Häßlichen Wirrwarr findet man in der ganzen Welt, gnädige Frau«,
sagte Lebedjews Neffe, der gleichfalls nicht wenig betroffen war.
»Aber nicht einen so argen! Nicht einen so argen, lieber Freund, wie
jetzt bei euch; nicht einen so argen!« rief Lisaweta Prokofjewna,
gleichsam schadenfroh und wie in einem hysterischen Anfall. »So laßt
mich doch in Ruhe!« schrie sie denen, die auf sie einredeten, zu.
»Nein, wenn Sie schon erzählen, Jewgeni Pawlowitsch, daß sogar ein
Verteidiger vor Gericht erklärt hat, es sei nichts natürlicher als aus
Armut sechs Menschen abzuschlachten, dann ist der Jüngste Tag nahe
herangekommen; so etwas habe ich ja noch nie gehört! Jetzt ist mir
alles klargeworden! Ist denn dieser Stotterer etwa nicht imstande,
einem die Kehle abzuschneiden?« Sie wies auf Burdowski, der sie höchst
erstaunt ansah. »Ich möchte darauf wetten, daß er es fertig bekommt!«
Er wird dein Geld, die zehntausend Rubel, vielleicht nicht annehmen,
wird sie vielleicht aus Gewissensbedenken nicht annehmen; aber er wird
bei Nacht kommen und dir die Kehle durchschneiden und das Geld aus der
Schatulle nehmen, ohne daß sein Gewissen dagegen Einwendungen erhebt!
»Das ist nach seiner Ansicht nicht ehrlos! Das ist ›ein Ausbruch edler
Verzweiflung‹, das ist ›Negation‹ oder weiß der Teufel was sonst noch
... Pfui! Alles ist auf den Kopf gestellt; alle gehen mit den Füßen
nach oben. Da ist ein junges Mädchen im Elternhaus aufgewachsen; auf
einmal springt sie mitten auf der Straße in eine Droschke: ›Mamachen,
ich habe mich neulich mit irgendeinem Karlowitsch oder Iwanowitsch
verheiratet; leben Sie wohl!‹ Und eine solche Handlungsweise ist nach
eurer Meinung ganz in der Ordnung, achtungswert und natürlich? Das ist
die Frauenfrage? Da, dieser dumme Junge hier« (sie zeigte auf Kolja),
»auch der hat neulich darüber disputiert und sagt, das sei eben die
Frauenfrage. Aber auch wenn eine Mutter dumm ist, sollten die Töchter
sie anständig behandeln ...! Warum trugt ihr denn vorhin, als ihr
hereinkamt, die Köpfe so stolz erhoben? ›Wagt es nicht, uns zu
nahezutreten; wir kommen! Gib uns alle erdenklichen Rechte; aber wage
du nicht, dich uns gegenüber zu mucksen! Erweise uns in unerhörtem Maß
alle Achtung; aber wir werden dich schlechter behandeln als den
niedrigsten Lakaien!‹ Sie suchen die Wahrheit, sie bestehen auf ihrem
Recht; aber sie selbst haben ihn wie die Heiden in ihrem Artikel
verleumdet. ›Wir fordern; wir bitten nicht, und ihr werdet von uns kein
Wort des Dankes zu hören bekommen, weil ihr es doch nur zur Beruhigung
eures eigenen Gewissens tut!‹ Eine nette Moral! Aber wenn du dich von
jeder Verpflichtung zur Dankbarkeit dispensierst, dann kann doch auch
der Fürst dir antworten, daß er gegen Pawlischtschew keine Dankbarkeit
empfinde, weil ja auch Pawlischtschew nur zur Beruhigung seines eigenen
Gewissens Gutes getan habe. Und du hast ja doch nur auf seine
Dankbarkeit gegen Pawlischtschew deine Spekulation gegründet; er hat ja
doch von dir kein Geld geborgt und ist dir nichts schuldig; also worauf
hast du denn sonst gerechnet als auf seine Dankbarkeit? Wie kannst du
dich denn da selbst von ihr lossagen? Ihr Verrückten! Ihr nennt die
menschliche Gesellschaft roh und inhuman, weil sie ein verführtes
Mädchen ächtet; aber wenn ihr die menschliche Gesellschaft als inhuman
bezeichnet, so erklärt ihr damit doch, daß diesem Mädchen von dieser
Gesellschaft ein Schmerz zugefügt wird. Wenn das aber für sie ein
Schmerz ist, wie könnt ihr sie dann selbst in den Zeitungen vor eben
dieser Gesellschaft an den Pranger stellen und verlangen, daß das für
sie kein Schmerz sein soll? Ihr Verrückten! Ihr eitlen Menschen! Ihr
glaubt nicht an Gott, ihr glaubt nicht an Christus! Eitelkeit und Stolz
haben eure Seelen so zerfressen, daß ihr schließlich noch einer den
andern auffressen werdet, das sage ich euch voraus! Ist das nicht ein
Unsinn, ein Wirrwarr, ein Skandal? Und trotz alledem wird dieser
verdrehte Mensch noch zu ihnen hingehen und sie um Verzeihung bitten!
Gibt es denn viele solche Leute wie ihr? Was lächelt ihr? Weil ich mich
mit euch so gemein gemacht habe? Das ist nun einmal geschehen; daran
ist nichts mehr zu ändern ...! Lächle du mich nicht so an, du frecher
Bube!« (Sie stürzte plötzlich auf Ippolit los.) »Er kann
kaum noch atmen und verdirbt andere! Du hast mir diesen Jungen hier
verdorben« (sie zeigte wieder auf Kolja); »er
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