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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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Zutraulichkeit und
eine große Aufrichtigkeit bewahrt haben«, sagte der Fürst endlich.
»Wissen Sie, daß Sie schon allein dadurch sehr vieles wiedergutmachen?«
    »Ja, ich bin ein edler Mensch, ein edler Mensch, ein ritterlich
edler Mensch!« bestätigte Keller gerührt. »Aber wissen Sie, Fürst, das
bin ich immer nur, wenn ich mich so meinen Phantasien überlasse und
sozusagen besondere Courage habe; in Wirklichkeit jedoch wird nie etwas
daraus! Wie geht das nur zu? Mir ist das unbegreiflich.«
    »Verzweifeln Sie deswegen nicht! Man kann jetzt mit Bestimmtheit
sagen, daß Sie mir Ihr ganzes Inneres gezeigt haben; wenigstens scheint
mir, daß es unmöglich ist, zu dem, was Sie erzählt haben, noch etwas
hinzuzufügen, nicht wahr?«
    »Unmöglich?!« rief Keller gewissermaßen mitleidig. »O Fürst, wie
schweizerisch, wenn ich mich so ausdrücken darf, beurteilen Sie den
Menschen noch!«
    »Sollte es wirklich möglich sein, noch etwas hinzuzufügen?«
erwiderte der Fürst mit schüchternem Erstaunen. »Also nun, bitte, sagen
Sie, Keller, was Sie eigentlich von mir wollten, und warum Sie mit
Ihrer Beichte zu mir gekommen sind!«
    »Was ich wollte? Von Ihnen wollte? Erstens ist es schon allein ein
Vergnügen, Ihre Herzenseinfalt anzusehen; es ist ein Vergnügen, so mit
Ihnen zu sitzen und zu plaudern; ich weiß wenigstens, daß ich einen
höchst tugendhaften Menschen vor mir habe. Und zweitens ... zweitens
...«
    Er stockte.
    »Vielleicht wollten Sie Geld von mir leihen?« half ihm der Fürst in ganz ernstem, schlichtem, ja sogar etwas schüchternem Ton.
    Keller fuhr ordentlich zusammen; erstaunt blickte er dem Fürsten
rasch gerade in die Augen und schlug mit der Faust kräftig auf den
Tisch.
    »Na, Sie bringen einen ja ganz und gar aus der Fassung! Ich bitte
Sie, Fürst: einerseits diese Herzenseinfalt und Harmlosigkeit, wie sie
selbst im goldenen Zeitalter unerhört wäre, und andrerseits
durchschauen Sie einen gleichzeitig, wie wenn man von Glas wäre, durch
und durch, mit der feinsten, psychologischen Beobachtungsgabe! Aber
erlauben Sie, Fürst, das bedarf einer Erklärung, da ich ... Ich bin
ganz in Verwirrung geraten! Allerdings hatte ich die Absicht, mir zu
guter Letzt von Ihnen Geld zu leihen; aber nun haben Sie mich danach in
einer Weise gefragt, wie wenn Sie darin nichts Tadelnswertes fänden,
wie wenn das so sein müßte.«
    »Ja ... bei Ihnen muß das auch so sein.«
    »Und Sie sind darüber nicht entrüstet?«
    »Worüber sollte ich entrüstet sein?«
    »Hören Sie mal, Fürst, ich bin seit gestern abend hiergeblieben,
erstens aus besonderer Hochachtung gegen den französischen Erzbischof
Bourdaloue 2 ,
von welchem Lebedjew erzählte (wir haben in Lebedjews Wohnung bis drei
Uhr morgens eine Flasche nach der andern entkorkt), und zweitens und
hauptsächlich (ich schwöre Ihnen bei allem, was heilig ist, daß ich die
reine Wahrheit rede), weil ich Ihnen eine vollständige, aufrichtige
Beichte ablegen und dadurch sozusagen meine eigene sittliche
Entwicklung fördern wollte; mit diesem Gedanken schlief ich zwischen
drei und vier Uhr, von Tränen überströmt, ein. Werden Sie nun einem
höchst edeldenkenden Menschen glauben? In demselben Augenblick, als ich
einschlief, sozusagen innerlich von aufrichtigen Tränen überströmt und
desgleichen auch äußerlich (denn ich schluchzte zuletzt, wie ich mich
recht wohl erinnere), in demselben Augenblick kam mir ein teuflischer
Gedanke: ›Wie wär's? Könnte ich nicht zu guter Letzt, nach der Beichte,
mir Geld von ihm leihen?‹ Auf diese Weise machte ich meine Beichte
zurecht, um mich so auszudrücken, wie ein ragoût fin mit Tränen, in der
Absicht, mir mit diesen Tränen den Weg zu bahnen und, wenn Sie sich
dann geschmeichelt fühlten, mir von Ihnen hundertfünfzig Rubelchen
auszahlen zu lassen. Meinen Sie nicht, daß das eine Gemeinheit ist?«
    »Aber so ist das doch gewiß nicht wahr; sondern es ist nur ganz
einfach eines zum andern hinzugekommen. Zwei Gedanken sind
zusammengetroffen; das kommt sehr oft vor. Mir begegnet das
fortwährend. Ich glaube übrigens, daß das nicht schön ist, und wissen
Sie, Keller, ich mache mir deswegen die größten Vorwürfe. Mir war, als
ob Sie mir mich selbst schilderten. Manchmal habe ich sogar gedacht«,
fuhr der Fürst sehr ernst und mit aufrichtigem starkem Interesse fort,
»daß alle Menschen von dieser Art sind, und wollte dann schon aufhören,
mich zu schelten; denn gegen diese doppelten Gedanken anzukämpfen

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