Der Idiot
ist
furchtbar schwer; ich weiß es aus Erfahrung. Gott weiß, woher sie
kommen, und wie sie heranwachsen. Aber da nennen Sie das nun geradezu
eine Gemeinheit! Jetzt werde auch ich wieder anfangen, mich vor diesen
Gedanken zu fürchten. Jedenfalls steht es mir nicht zu, Sie zu
verdammen. Aber man darf das doch meiner Ansicht nach nicht so geradezu
eine Gemeinheit nennen; meinen Sie nicht auch? Sie haben sich einer
Lust bedient, um durch Tränen Geld von mir herauszulocken; aber dabei
schwören Sie doch selbst, daß Ihre Beichte noch einen andern Zweck
hatte, einen edlen Zweck, nicht nur jenen pekuniären. Was aber das Geld
anlangt, so wollen Sie es doch gewiß haben, um es zu verzechen, nicht?
Das ist aber nach einer solchen Beichte selbstverständlich eine
Schwachheit. Aber wie soll man andrerseits die Neigung zum Trinken so
im Handumdrehen ablegen? Das ist ja nicht möglich. Was ist da nun zu
tun? Das beste ist wohl, wir stellen es Ihrem eigenen Gewissen anheim;
meinen Sie nicht?«
Der Fürst blickte Keller mit dem lebhaftesten Interesse an. Das
Thema von den doppelten Gedanken hatte ihn offenbar schon lange
beschäftigt.
»Na, warum man Sie bei alledem einen Idioten nennt, das ist mir unverständlich!« rief Keller.
Der Fürst errötete ein wenig.
»Der Prediger Bourdaloue, der würde mit einem Menschen wie ich keine
Nachsicht gehabt haben; aber Sie haben es getan und haben mich
menschlich gerichtet! Um mich zu bestrafen und um zu zeigen, daß ich
gerührt bin, verzichte ich jetzt auf die hundertfünfzig Rubel; geben
Sie mir nur fünfundzwanzig, und damit basta! Mehr brauche ich nicht,
wenigstens nicht für zwei Wochen. Vor Ablauf von zwei Wochen werde ich
nicht wieder um Geld zu Ihnen kommen. Ich wollte eigentlich meiner
Agaschka etwas schenken; aber sie verdient es gar nicht. O lieber
Fürst, Gott segne Sie!«
Endlich kam Lebedjew herein, der soeben zurückgekehrt war, und als
er in Kellers Händen den Fünfundzwanzigrubelschein erblickte, runzelte
er die Stirn. Aber sowie Keller das Geld hatte, beeilte er sich
wegzukommen und verschwand schleunigst. Lebedjew begann sofort auf ihn
zu schimpfen.
»Sie sind ungerecht«, bemerkte der Fürst endlich. »Er bereute wirklich aufrichtig.«
»Aber was hat die Reue für einen Wert! Das ist gerade, wie ich
gestern sagte: ›Ich bin ein gemeiner Mensch, ich bin ein gemeiner
Mensch!‹ Das sind doch bloße Worte!«
»Also bei Ihnen waren es bloße Worte? Ich dachte schon ...«
»Na, Ihnen, Ihnen allein will ich die Wahrheit sagen, weil Sie ja
doch einen Menschen ganz durchschauen: die Worte und das Tun, die Lüge
und die Wahrheit, das ist alles zusammen in mir enthalten und ist alles
vollkommen aufrichtig. Die Wahrheit und das Tun bestehen bei mir in
aufrichtiger Reue, ob Sie es nun glauben oder nicht, ich kann's
beschwören; und die Worte und die Lüge bestehen in dem teuflischen, mir
immer gegenwärtigen Gedanken, wie ich auch bei einer solchen
Gelegenheit jemanden hinter das Licht führen und durch die Reuetränen
profitieren könnte! Bei Gott, so ist es! Einem andern würde ich es
nicht sagen; der würde mich auslachen oder mich verachten; aber Sie,
Fürst, Sie urteilen human.«
»Nun, sehen Sie, das ist ganz genau dasselbe, was auch er mir soeben
gesagt hat!« rief der Fürst. »Und beide rühmen Sie sich dessen
gewissermaßen! Sie setzen mich beide dadurch in Erstaunen; nur ist er
aufrichtiger als Sie; Sie aber haben die Sache zu einer Art von Gewerbe
gemacht. Nun genug davon! Runzeln Sie nicht die Stirn, Lebedjew, und
legen Sie nicht die Hände aufs Herz! Haben Sie mir nichts zu sagen? Sie
werden doch nicht ohne Zweck zu mir gekommen sein ...«
Lebedjew begann Grimassen zu schneiden und sich hin und her zu krümmen.
»Ich habe den ganzen Tag über auf Sie gewartet, um Ihnen eine Frage
vorzulegen; antworten Sie wenigstens einmal in Ihrem Leben gleich mit
den ersten Worten die Wahrheit: waren Sie an der gestrigen Geschichte
mit der Equipage irgendwie beteiligt?«
Lebedjew schnitt wieder Grimassen und kicherte, rieb sich die Hände,
nieste sogar zuletzt, konnte sich aber immer noch nicht dazu
entschließen, etwas zu sagen.
»Ich sehen Ihnen an, daß Sie daran beteiligt waren.«
»Aber nur indirekt, durchaus nur indirekt! Ich sage die reine
Wahrheit! Ich bin nur insofern daran beteiligt gewesen, als ich die
betreffende Person rechtzeitig davon benachrichtigte, daß sich bei mir
eine Gesellschaft zusammengefunden habe, und daß gewisse Leute
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