Der Idiot
bei der Hand ergriff.
»Durchlaucht, Seine Exzellenz lassen Sie bitten, sich zu Ihrer
Exzellenz zu bemühen«, meldete ein Diener, der in der Tür erschien. Der
Fürst ging hinter dem Diener her.
IV
Die Jepantschinschen Töchter waren alle drei gesunde, blühende,
wohlgewachsene junge Damen mit schöner, gutentwickelter Brust und
kräftigen, beinah männerartigen Armen, und infolge ihrer Kraft und
Gesundheit liebten sie es natürlich auch, manchmal tüchtig zu essen,
was sie ganz und gar nicht zu verbergen suchten. Ihre Mama, die
Generalin Lisaweta Prokofjewna, schnitt über den unverhohlenen Appetit
der Töchter mitunter ein Gesicht; aber da viele ihrer Ansichten trotz
alles äußeren Respekts, mit dem sie von den Kindern aufgenommen wurden,
schon längst ihre ursprüngliche, unbestrittene Autorität bei diesen
verloren hatten, und zwar in dem Maße, daß ein sich konstituierendes
einmütiges Konklave der drei Töchter jedesmal den Sieg davontrug, so
fand auch die Generalin im Interesse ihrer eigenen Würde es
zweckmäßiger, nicht erst zu streiten, sondern gleich nachzugeben.
Allerdings hatte sie nach ihrem ganzen Charakter oft keine Neigung,
sich den Geboten der Vernunft unterzuordnen und zu fügen; denn Lisaweta
Prokofjewna wurde von Jahr zu Jahr launischer und ungeduldiger, ja
sogar ein wenig wunderlich; aber da doch immer noch der sehr gehorsame
und wohldressierte Ehemann unter ihrer Herrschaft blieb, so ergoß sich,
was an überschüssigem Mißmut sich bei ihr aufgesammelt hatte,
gewöhnlich über sein Haupt, und damit war dann die Harmonie in der
Familie wiederhergestellt, und alles ging den denkbar besten Gang.
Übrigens erfreute sich auch die Generalin selbst eines guten
Appetits und nahm gewöhnlich um halb eins mit ihren Töchtern zusammen
an einem reichlichen déjeuner dînatoire teil. Eine Tasse Kaffee tranken
die jungen Damen schon vorher, Punkt zehn Uhr, im Bett, gleich nach dem
Aufwachen. Das war ihnen eine liebe Gewohnheit und ein für allemal so
festgesetzt. Um halb eins aber wurde der Tisch in dem kleinen Eßzimmer,
neben den Zimmern der Mutter, gedeckt, und zu diesem Frühstück im
engsten Familienkreis erschien manchmal auch der General selbst, wenn
seine Zeit es erlaubte. Außer Tee, Kaffee, Käse, Honig, Butter,
Koteletts und einer besonderen Art von Pfannkuchen, die die Generalin
selbst sehr gern aß, wurde auch starke, heiße Bouillon serviert. An dem
Morgen, an dem unsere Erzählung begonnen hat, war die ganze Familie im
Eßzimmer versammelt und wartete auf den General, der versprochen hatte,
um halb eins zu erscheinen. Hätte er sich auch nur eine Minute
verspätet, so wäre sofort nach ihm geschickt worden; aber er erschien
pünktlich. Als er an seine Frau herantrat, um sie zu begrüßen und ihr
die Hand zu küssen, bemerkte er diesmal in ihrem Gesicht etwas ganz
Besonderes. Und obgleich er schon am vorhergehenden Abend ein Vorgefühl
gehabt hatte, daß es heute wegen einer gewissen »Geschichte« (so
pflegte er selbst sich auszudrücken) so kommen werde, und sich schon
gestern beim Einschlafen darüber beunruhigt hatte, so bekam er es doch
jetzt wieder mit der Angst zu tun. Die Töchter traten an ihn heran, um
ihn zu küssen; und wiewohl diese ihm keine bösen Manieren machten, so
glaubte er doch auch in ihren Gesichtern einen eigentümlichen Ausdruck
wahrzunehmen. Allerdings war der General infolge gewisser früherer
Vorfälle allzu argwöhnisch geworden; aber als erfahrener und
lebenskluger Vater und Gatte ergriff er sofort seine Maßregeln.
Vielleicht verderben wir das Relief unserer Erzählung nicht allzu
sehr, wenn wir jetzt haltmachen und durch einige hilfreiche Bemerkungen
eine wahrhafte und genaue Erklärung der wechselseitigen Beziehungen und
der Verhältnisse geben, in denen wir die Familie des Generals
Jepantschin beim Beginn unserer Geschichte vorfinden. Wir haben bereits
oben gesagt, daß der General zwar kein sehr gebildeter, sondern, wie er
selbst sich ausdrückte, nur ein »selbstunterrichteter« Mann, aber dabei
doch ein erfahrener Gatte und ein lebenskluger Vater war. Unter anderm
hatte er es sich zum Grundsatz gemacht, seine Töchter nicht zum
Heiraten zu drängen, also ihnen nicht beständig zuzusetzen und sie mit
seiner väterlichen Sorge für ihr Lebensglück zu quälen, wie das
unwillkürlich und natürlicherweise fortwährend selbst in den
verständigsten Familien geschieht, in denen sich erwachsene Töchter
ansammeln. Er hatte es sogar erreicht, daß
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