Der Idiot
weil er verliebt ist. Meine Herren, der
Fürst ist verliebt; vorhin, sowie er hereinkam, habe ich mich davon
überzeugt. Erröten Sie nicht, Fürst; das würde mir leid tun. Was ist
denn das für eine Schönheit, durch die die Welt erlöst werden wird? Mir
hat Kolja das wiedererzählt ... Sind Sie ein eifriger Christ? Kolja
sagt, Sie nennen sich selbst einen Christen.«
Der Fürst sah ihn aufmerksam an, ohne ihm zu antworten.
»Sie antworten mir nicht? Sie glauben vielleicht, daß ich Sie sehr gern habe?« fügte Ippolit wie unwillkürlich hinzu.
»Nein, das glaube ich nicht. Ich weiß, daß Sie mich nicht leiden können.«
»Wie? Selbst nach dem, was gestern geschehen ist? War ich gestern gegen Sie nicht aufrichtig?«
»Ich wußte auch gestern, daß Sie mich nicht leiden können.«
»Sie meinen, weil ich Sie beneide? Das haben Sie immer gedacht und
denken es auch jetzt; aber ... aber warum rede ich mit Ihnen davon? Ich
will noch Champagner trinken; gießen Sie mir ein, Keller!«
»Sie dürfen nicht mehr trinken, Ippolit, ich gebe Ihnen keinen mehr ...«
Der Fürst schob das Glas von ihm weg.
»Nun gut!« sagte er, sofort damit einverstanden, und schien in
Gedanken zu versinken. »Die Leute werden womöglich noch sagen ... aber
was schere ich mich um das, was die Leute sagen werden! Nicht wahr?
Nicht wahr? Mögen die Leute nachher reden, was sie wollen; nicht wahr,
Fürst? Und was kümmert es uns alle, was ›nachher‹ sein wird ...! Ich
bin übrigens noch schlaftrunken. Was ich für einen schrecklichen Traum
gehabt habe; jetzt fällt es mir erst wieder ein ... Ich wünsche Ihnen
solche Träume nicht, Fürst, wenn ich Sie auch vielleicht wirklich nicht
leiden kann. Übrigens, wenn man jemanden auch nicht leiden kann, warum
soll man ihm Böses wünschen, nicht wahr? Warum frage ich nur
fortwährend? Fortwährend frage ich! Geben Sie mir Ihre Hand; ich werde
sie Ihnen kräftig drücken; sehen Sie, so ...! Sie haben mir also doch
die Hand gereicht! Sie wissen also, daß mein Händedruck aufrichtig
gemeint ist ...? Meinetwegen, ich werde nicht mehr trinken. Was ist die
Uhr? Übrigens brauchen Sie es mir nicht zu sagen; ich weiß, was die Uhr
ist. Die Stunde ist gekommen! Jetzt ist die richtige Zeit. Was? Wird
der Imbiß dort in die Ecke gestellt? Also bleibt dieser Tisch frei?
Vorzüglich! Meine Herren, ich ... aber diese Herren hören ja alle nicht
... ich beabsichtige, einen Artikel vorzulesen, Fürst; der Imbiß ist
natürlich interessanter; aber ...«
Und ganz unerwartet zog er aus seiner oberen Seitentasche ein mit
einem großen, roten Siegel verschlossenes Kuvert im Kanzleiformat
heraus. Er legte es vor sich auf den Tisch.
Dieser unerwartete Vorgang brachte auf die angeheiterte
Gesellschaft, die darauf nicht vorbereitet war, eine starke Wirkung
hervor. Jewgeni Pawlowitsch sprang sogar ein wenig auf seinem Stuhl in
die Höhe; Ganja kam schnell an den Tisch heran, Rogoschin ebenfalls,
aber mit mürrischer, ärgerlicher Miene, als wüßte er, um was es sich
handle. Lebedjew, der sich zufällig gerade in der Nähe befand, trat mit
neugierigen Augen heran und schaute nach dem Kuvert, bemüht, dessen
Inhalt zu erraten.
»Was haben Sie denn da?« fragte der Fürst beunruhigt.
»Sowie der Rand der Sonnenscheibe sichtbar wird, werde ich mich
hinlegen, Fürst; ich habe es gesagt; mein Ehrenwort darauf! Sie werden
es schon sehen!« rief Ippolit. »Aber ... aber ... glauben Sie wirklich,
ich wäre nicht imstande, dieses Kuvert zu erbrechen?« fügte er hinzu,
indem er in herausfordernder Weise alle Umstehenden der Reihe nach
anschaute und sich an alle ohne Unterschied wandte.
Der Fürst bemerkte, daß er am ganzen Leibe zitterte.
»Niemand von uns glaubt das«, antwortete der Fürst für alle. »Warum
meinen Sie denn, daß jemand so etwas denkt, und was ... was ist das für
ein seltsamer Einfall von Ihnen, etwas vorlesen zu wollen? Was haben
Sie denn da, Ippolit?«
»Was ist denn los? Was ist denn wieder mit ihm passiert?« wurde ringsumher gefragt.
Alle traten heran, manche noch essend; das Kuvert mit dem roten Siegel übte auf alle eine Anziehungskraft aus wie ein Magnet.
»Das habe ich gestern selbst geschrieben, gleich nachdem ich
versprochen hatte, zu Ihnen zu ziehen und bei Ihnen zu wohnen, Fürst.
Ich habe gestern den ganzen Tag daran geschrieben und dann in der Nacht
und bin heute morgen damit fertig geworden; in der Nacht, gegen Morgen,
hatte ich einen Traum ...«
»Wäre es nicht besser, es bis
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