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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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Abend trafen wir im Wirtshaus wieder zusammen.«
    »Aber schließlich haben Sie doch wohl die Brieftasche unter dem Stuhl weggenommen?«
    »Nein, sie ist noch in derselben Nacht von dort verschwunden.«
    »Also wo ist sie denn jetzt?«
    »Hier!« erwiderte Lebedjew lachend, indem er vom Stuhl aufstand,
sich ganz aufrichtete und den Fürsten vergnügt ansah. »Sie befand sich
auf einmal hier, in meinem eigenen Rockflügel. Da! Sehen Sie selbst,
und befühlen Sie sie!«
    In der Tat hatte sich im linken Rockflügel, gerade vorn, an einer
sehr sichtbaren Stelle ein ordentlicher Bausch gebildet, und beim
Befühlen konnte man ohne weiteres erraten, daß sich da eine lederne
Brieftasche befand, die aus der zerrissenen Tasche dort
hinuntergerutscht war.
    »Ich habe sie herausgenommen und revidiert: der Inhalt war
vollzählig. Ich ließ sie wieder hinuntergleiten und gehe so seit
gestern morgen herum; ich trage sie im Rockflügel; sie schlägt mich
sogar gegen das Bein.«
    »Und Sie bemerken das gar nicht?«
    »Nein, ich bemerke es nicht, hehe! Und stellen Sie sich das vor,
hochgeehrter Fürst (wiewohl der Gegenstand einer solchen besonderen
Beachtung von Ihrer Seite nicht würdig ist): meine Taschen sind immer
ganz und heil, und nun hatte diese Tasche auf einmal in einer Nacht ein
solches Loch bekommen! Ich besah mir dieses Loch genauer; es macht den
Eindruck, als ob es von jemand mit einem Federmesser hineingeschnitten
wäre; ist das nicht beinah unglaublich?«
    »Und ... der General?«
    »Den ganzen Tag über war er böse, gestern und heute; er ist
furchtbar verstimmt; bald ist er vergnügt und lustig und sagt mir sogar
Schmeicheleien, bald ist er so gefühlvoll, daß ihm sogar die Tränen
kommen, bald wieder wird er auf einmal zornig, so daß ich es sogar mit
der Angst bekomme, wahrhaftig; ich bin ja doch kein Militär, Fürst.
Gestern saßen wir im Wirtshaus, und mein Rockflügel stand, wie
zufällig, so recht sichtbar hervor, mit der daran befindlichen
Erhöhung; er schielte danach hin und ärgerte sich. Gerade in die Augen
sieht er mir jetzt schon längst nicht mehr, außer wenn er sehr
betrunken oder sehr gefühlvoll ist; aber gestern sah er mich ein
paarmal so an, daß es mir ordentlich kalt den Rücken hinunterlief. Ich
beabsichtige übrigens, morgen die Brieftasche zu finden; aber heute
abend will ich noch meinen Spaß mit ihm haben.«
    »Warum quälen Sie ihn so?« rief der Fürst.
    »Ich quäle ihn nicht, Fürst, ich quäle ihn nicht«, erwiderte
Lebedjew lebhaft. »Ich habe ihn von Herzen gern und ... schätze ihn
hoch; und jetzt (Sie mögen es glauben oder nicht) ist er mir noch
teurer geworden; ich schätze ihn noch höher!«
    Lebedjew sagte das alles so ernst und aufrichtig, daß der Fürst geradezu empört war.
    »Sie haben ihn gern und quälen ihn so! Ich bitte Sie, schon allein
dadurch, daß er Ihnen den verlorenen Gegenstand so offen unter den
Stuhl legte und in den Rock steckte, schon dadurch allein beweist er
Ihnen deutlich, daß er Ihnen gegenüber keine List anwenden will,
sondern Sie schlicht und einfach um Verzeihung bittet. Hören Sie: er
bittet Sie um Verzeihung! Er hofft also auf Ihr Zartgefühl, glaubt also
an Ihre freundschaftliche Gesinnung gegen ihn. Und Sie demütigen ihn
dermaßen ... einen grundehrlichen Menschen!«
    »Einen grundehrlichen Menschen, einen grundehrlichen Menschen,
Fürst!« fiel Lebedjew mit leuchtenden Augen ein. »Und nur Sie, edelster
Fürst, waren imstande, ein so gerechtes Wort auszusprechen! Darum bin
ich Ihnen ja auch bis zur Vergötterung ergeben, wiewohl ich von
mancherlei Lastern durchfault bin! Also abgemacht! Ich finde die
Brieftasche jetzt gleich, sofort, und nicht erst morgen; da, ich ziehe
sie vor Ihren Augen heraus; da ist sie; und da ist auch das ganze bare
Geld; hier, nehmen Sie es, edelster Fürst, nehmen Sie es, und heben Sie
es mir bis morgen auf! Morgen oder übermorgen werde ich es mir wieder
zurückerbitten; wissen Sie, Fürst, es hat offenbar in der ersten Nacht,
nachdem es abhanden gekommen war, in meinem Gärtchen irgendwo unter
einem Stein gelegen; meinen Sie nicht auch?«
    »Sagen Sie es ihm nur nicht so geradezu ins Gesicht, daß Sie die
Brieftasche wiedergefunden haben. Mag er ganz einfach sehen, daß in
Ihrem Rockflügel nichts mehr darin ist; dann wird er es schon
verstehen.«
    »Also auf diese Art? Wäre es nicht besser, zu sagen, daß ich sie
wiedergefunden hätte, und so zu tun, als hätte ich sie bisher nicht
bemerkt?«
    »N-nein«,

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