Der Idiot
habe bereut, dies nicht schon früher getan zu haben. Ich verlange
Respekt, Fürst, und möchte ihn mir auch von denjenigen Leuten erwiesen
sehen, denen ich sozusagen mein Herz schenke. Fürst, ich verschenke
mein Herz häufig und werde dabei fast immer betrogen. Dieser Mensch ist
meines Geschenkes unwürdig.«
»Sein Wesen ist nicht frei von inneren Widersprüchen«, bemerkte der
Fürst zurückhaltend, »und manche Züge seines Charakters ... aber
inmitten dieses bunten Ensembles kann man doch ein Herz wahrnehmen und
einen schlauen, mitunter auch amüsanten Intellekt.«
Daß der Fürst in gewählten Ausdrücken sprach und sich eines
respektvollen Tones bediente, schmeichelte dem General offenbar,
obgleich seine Miene immer noch manchmal ein plötzlich rege werdendes
Mißtrauen bekundete. Aber der Ton des Fürsten klang so natürlich und
aufrichtig, daß es unmöglich war, an seiner Echtheit zu zweifeln.
»Gewiß besitzt er auch gute Eigenschaften«, stimmte der General bei,
»und ich bin der erste gewesen, der das offen aussprach, als ich diesem
Individuum beinah meine Freundschaft schenkte. Sein Haus und seine
Gastfreundschaft benötige ich nicht, da ich eine eigene Familie
besitze. Ich will meine Laster nicht entschuldigen: ich bin
unenthaltsam; ich habe mit ihm Wein getrunken und vergieße jetzt
vielleicht Tränen darüber. Aber ich hatte doch nicht allein des Suffs
wegen (verzeihen Sie, Fürst, einem schwer gereizten Mann diese derbe
Offenherzigkeit), nicht allein des Suffs wegen mich ihm angeschlossen.
Was mich lockte, waren, wie Sie richtig sagen, seine guten
Eigenschaften. Aber alles geht doch nur bis zu einer gewissen Grenze,
auch die Wertschätzung der guten Eigenschaften; und wenn er auf einmal
die Dreistigkeit hat, mir ins Gesicht zu behaupten, er habe im Jahre
1812 als Kind sein linkes Bein verloren und es auf dem Wagankowschen
Friedhof in Moskau begraben, so überschreitet das denn doch alle
Grenzen und zeugt von einer Respektlosigkeit und Frechheit ...«
»Vielleicht war das nur ein Scherz, der heiteres Gelächter hervorrufen sollte.«
»Ich verstehe. Eine unschuldige Lüge, die heiteres Gelächter
hervorrufen soll, kann, wenn sie auch plump ist, ein Menschenherz nicht
beleidigen. Mancher lügt auch sozusagen nur aus Freundschaft, um
demjenigen, mit dem er sich unterhält, ein Vergnügen zu machen; aber
wenn aus einem solchen Benehmen Respektlosigkeit durchschimmert und
wenn namentlich der Erzähler durch eine solche Respektlosigkeit zeigen
will, daß ihm der Umgang mit dem andern lästig wird, dann bleibt einem
anständigen Mann nichts anderes übrig, als dem Beleidiger den
Standpunkt klarzumachen, sich von ihm abzuwenden und die Beziehungen zu
ihm abzubrechen.«
Der General war, während er sprach, ganz rot geworden.
»Aber Lebedjew konnte doch im Jahre 1812 gar nicht in Moskau sein, dazu ist er ja zu jung; das ist lächerlich.«
»Erstens das; aber selbst angenommen, daß er damals schon geboren
war, wie kann er mir ins Gesicht behaupten, ein französischer Chasseur
habe eine Kanone auf ihn abgefeuert und ihm so zum Amüsement ein Bein
abgeschossen; er habe dieses Bein aufgehoben, nach Hause getragen und
nachher auf dem Wagankowschen Friedhof begraben. Er sagt, er habe ein
Denkmal darüber errichten lassen, mit einer Inschrift, auf der einen
Seite: ›Hier ruht ein Bein des Kollegiensekretärs Lebedjew‹, und auf
der andern: ›Ruhe sanft, liebe Asche, bis zum frohen Tag der
Auferstehung!‹ und schließlich noch, er lasse jährlich für dieses Bein
eine Seelenmesse lesen (so etwas zu sagen ist geradezu eine Blasphemie)
und fahre zu diesem Zweck jährlich nach Moskau. Und zum Beweis fordert
er mich auf, nach Moskau mitzukommen; da wolle er mir das Grab zeigen
und sogar im Kreml jene selbe französische Kanone, die nachher erbeutet
worden sei; er behauptet, es sei die elfte vom Tor aus, ein
französisches Falkonettgeschütz alter Konstruktion.«
»Und dabei sind, wie der Augenschein lehrt, seine beiden Beine heil
und gesund!« sagte der Fürst lachend. »Ich versichere Ihnen, daß das
ein harmloser Spaß ist; ärgern Sie sich doch nicht darüber!«
»Aber erlauben Sie auch mir, die Sache so aufzufassen, wie ich es
für richtig halte. Was den augenscheinlichen Zustand seiner Beine
anlangt, so ist seine Angabe freilich nicht ganz undenkbar; es wird
versichert, daß das Tschernoswitowsche Bein ...«
»Ach ja, mit einem Tschernoswitowschen Bein soll man ja sogar tanzen können.«
»Das weiß
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