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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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versetzte der Fürst nach einiger Überlegung, »n-nein, dazu
ist es jetzt zu spät; das ist zu gefährlich; wirklich, sagen Sie lieber
nichts! Und seien Sie gegen ihn freundlich; aber ... tragen Sie dabei
nicht zu stark auf, und ... und ... nun, Sie wissen schon ...«
    »Ich weiß, Fürst, ich weiß, das heißt, ich weiß, daß ich es
vielleicht nicht werde durchführen können; denn dazu muß man ein
solches Herz haben wie das Ihrige. Und überdies bin ich selbst reizbar
und empfindlich; er behandelt mich aber jetzt manchmal auch gar zu sehr
von oben herab; bald schluchzt er und umarmt mich, und dann auf einmal
fängt er an, mich herabzuwürdigen und geringschätzig zu verspotten; na,
dann stelle ich flugs absichtlich den Rockflügel zur Schau, hehe! Auf
Wiedersehen, Fürst; denn ich halte Sie offenbar auf und störe Sie
sozusagen in den interessantesten Gefühlen ...«
    »Aber um Gottes willen: schweigen Sie von der Sache wie bisher!«
    »Mit leisen Schritten, mit leisen Schritten!«
    Aber obgleich die Sache nun erledigt war, war der Fürst nach
Lebedjews Weggang doch fast in noch größerer Sorge als vorher.
Ungeduldig sah er der morgigen Zusammenkunft mit dem General entgegen.

IV
    Die Zusammenkunft war auf zwölf Uhr festgesetzt; aber der Fürst
verspätete sich ganz unerwartet. Bei seiner Heimkehr fand er in seiner
Wohnung den General vor, der auf ihn wartete. Er bemerkte auf den
ersten Blick, daß dieser unzufrieden war, und vielleicht gerade
darüber, daß er hatte warten müssen. Der Fürst bat um Entschuldigung
und setzte sich schleunigst hin, aber in einer eigentümlich ängstlichen
Art, wie wenn sein Gast von Porzellan wäre und er jeden Augenblick
fürchtete, ihn zu zerschlagen. Früher war er dem General gegenüber
niemals ängstlich gewesen; dergleichen war ihm überhaupt nicht in den
Sinn gekommen. Der Fürst erkannte bald, daß er da einen ganz andern
Menschen vor sich hatte als tags zuvor: statt der Verwirrung und
Zerstreutheit gab sich eine große Zurückhaltung zu erkennen; man konnte
schließen, daß dies ein Mensch sei, der irgendeinen endgültigen
Beschluß gefaßt habe. Übrigens war der Gast von einer vornehmen
Zwanglosigkeit, obgleich sie mit zurückhaltender Würde gepaart war; am
Anfang behandelte er den Fürsten sogar mit einer Art von Herablassung;
diese vornehme Zwanglosigkeit findet man ja oft bei stolzen, ungerecht
gekränkten Leuten. Er sprach freundlich, wiewohl in seinem Ton etwas
Trauriges lag. »Da ist Ihr Journal, das ich neulich von Ihnen entliehen
habe«, sagte er und wies mit einer Kopfbewegung nach einem von ihm
mitgebrachten Heft hin, das auf dem Tisch lag. »Ich danke Ihnen.«
    »Ach ja; haben Sie diesen Artikel gelesen, General? Wie hat er Ihnen
gefallen? Ist er nicht interessant?« erwiderte der Fürst, erfreut über
die Möglichkeit, schnell ein Gespräch über einen nebensächlichen
Gegenstand anfangen zu können.
    »Ja, interessant ist er, meinetwegen, aber plump und jedenfalls abgeschmackt. Vielleicht wimmelt er auch von Lügen.«
    Der General sprach mit affektierter Würde und zog sogar die einzelnen Worte ein wenig in die Länge.
    »Ach, es ist ja eine so schlichte Erzählung, die Erzählung eines
alten Soldaten von dem, was er während des Aufenthalts der Franzosen in
Moskau mit eigenen Augen gesehen hat; manches darin ist überaus
reizvoll geschildert. Memoiren von Augenzeugen sind ja überhaupt
wertvoll, wer auch immer diese Augenzeugen sind; nicht wahr?«
    »An Stelle des Redakteurs hätte ich diesen Artikel nicht abgedruckt;
was aber Memoiren von Augenzeugen im allgemeinen anlangt, so findet ein
dreister, aber amüsanter Lügner leichter Glauben als ein würdiger,
wohlverdienter Mann. Ich kenne gewisse Memoiren aus dem Jahre 1812, die
... Ich habe meinen Entschluß gefaßt, Fürst, und verlasse dieses Haus,
das Haus des Herrn Lebedjew.«
    Der General sah den Fürsten bedeutsam an.
    »Sie wohnen ja auch eigentlich hier in Pawlowsk bei ... bei Ihrer
Tochter ...«, antwortete der Fürst, der nicht recht wußte, was er sagen
sollte.
    Er erinnerte sich, daß der General ja gekommen sei, um sich in einer
wichtigen Angelegenheit Rat zu erbitten, in einer Angelegenheit, von
der sein Schicksal abhänge.
    »Bei meiner Frau; mit andern Worten in meiner eigenen Wohnung, im Haus meiner Tochter.«
    »Verzeihen Sie, ich ...«
    »Ich verlasse Lebedjews Haus, lieber Fürst, weil ich mich von diesem
Menschen losgesagt habe; ich habe mich gestern abend von ihm losgesagt
und

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