Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
Vom Netzwerk:
ungeduldige Bewegungen; sein hoher
Vorgesetzter, der General, unterhielt sich mit der Gemahlin des
Würdenträgers, ohne dem Fürsten auch nur die geringste Aufmerksamkeit
zu schenken; aber die Gemahlin des Würdenträgers hörte häufig nach
diesem hin und blickte zu ihm herüber.
    »Nein, wissen Sie, es wird schon das beste sein, wenn ich rede!«
fuhr der Fürst in einem neuen fieberhaften Impuls fort, indem er sich
vertraulich geradezu an den Alten wandte. »Aglaja Iwanowna hat mir
gestern verboten zu reden und mir sogar die Themata genannt, über die
ich nicht reden dürfe; sie weiß, daß ich bei Erörterung dieser Themata
lächerlich werde! Ich bin siebenundzwanzig Jahre alt; aber ich weiß ja,
daß ich noch wie ein Kind bin. Ich habe kein Recht, meine Gedanken
auszusprechen; das habe ich schon immer gesagt; ich habe nur in Moskau,
mit Rogoschin, ganz offenherzig gesprochen ... Wir beide haben zusammen
Puschkin gelesen, ihn ganz durchgelesen; er kannte nichts davon, nicht
einmal den Namen Puschkin ... Ich fürchte immer, durch mein komisches
Wesen dem Gedanken und der Hauptidee Eintrag zu tun. Ich verstehe mich
nicht auf Gestikulation. Ich mache immer Handbewegungen, die den
richtigen entgegengesetzt sind, und das ruft Gelächter hervor und
schadet dem Ansehen der Idee. Ich habe auch kein Gefühl für das rechte
Maß, und das ist das Wichtigste; das ist sogar das allerwichtigste ...
Ich weiß, daß ich am besten täte stillzusitzen und zu schweigen. Wenn
ich das durchsetze und schweige, dann mache ich sogar den Eindruck
eines ganz vernünftigen Menschen und denke überdies im stillen über
dies und jenes nach. Aber jetzt ist es doch besser, wenn ich rede. Ich
habe zu reden angefangen, weil Sie mich so nett ansehen; Sie haben ein
so nettes Gesicht! Ich habe gestern Aglaja Iwanowna mein Wort darauf
gegeben, heute den ganzen Abend zu schweigen.«
    »Vraiment?« fragte der Alte lächelnd.
    »Aber in manchen Augenblicken denke ich, daß ich Unrecht tue, diese
Anschauung zu hegen; denn Offenherzigkeit ist doch wohl ebensoviel wert
wie eine schöne Gestikulation? Nicht wahr?«
    »Manchmal.«
    »Ich will Ihnen alles klarlegen, alles, alles, alles! O ja! Sie
denken, ich sei ein Utopist, ein schwärmerischer Idealist? O nein, weiß
Gott, meine Gedanken sind immer von ganz einfacher Art ... Sie glauben
es nicht? Sie lächeln? Wissen Sie, ich bin manchmal ein gemeiner
Mensch, weil ich den Glauben verliere. Vorhin ging ich hierher und
dachte: ›Na, wie werde ich mit ihnen reden? Womit muß ich anfangen,
damit sie wenigstens etwas verstehen?‹ Was hatte ich für Furcht; aber
ich hatte in der Hauptsache Furcht für Sie; es war schrecklich, ganz
schrecklich! Aber doch: durfte ich denn Furcht haben? Mußte ich mich
nicht schämen, Furcht zu haben? Was tut es denn, daß auf einen
Vorgeschrittenen eine solche Menge von Zurückgebliebenen, Schlechten
kommt? Und das ist für mich nun gerade ein Grund zur Freude, daß ich
jetzt die Überzeugung gewonnen habe, daß es sich gar nicht um eine
solche tote Menge handelt, sondern daß das lauter lebensvolles Material
ist! Wir dürfen uns auch dadurch nicht beirren lassen, daß wir komisch
sind, nicht wahr? Es ist ja freilich wirklich so: wir sind komisch,
leichtsinnig, haben schlechte Angewohnheiten, langweilen uns, verstehen
nicht zu sehen, verstehen nicht zu begreifen; wir sind ja alle von
dieser Art, alle, Sie und ich und alle andern! Sie fühlen sich doch
nicht beleidigt dadurch, daß ich Ihnen ins Gesicht sage, Sie seien
komisch? Wenn dem aber so ist, sind Sie denn dann nicht lebensvolles
Material? Wissen Sie, meiner Ansicht nach ist es manchmal sogar gut,
komisch zu sein, sogar das Beste: man kann einander leichter verzeihen
und sich leichter miteinander versöhnen; man kann doch auch nicht alles
auf einmal verstehen, nicht gleich mit der Vollkommenheit anfangen! Um
die Vollkommenheit zu erreichen, muß man vorher gar vieles nicht
verstanden haben! Und wenn man etwas gar zu schnell versteht, so ist
Gefahr, daß man es nicht ordentlich versteht. Das sage ich Ihnen, die
Sie es schon fertiggebracht haben, so vieles zu verstehen und ... nicht
zu verstehen. Ich habe jetzt keine Furcht für Sie; Sie sind ja doch
nicht böse darüber, daß ein so junger Mensch solche Worte zu Ihnen
spricht? Gewiß nicht! Oh, Sie verstehen es, zu vergessen und denen zu
verzeihen, von denen Sie beleidigt sind, und denen, die Ihnen keine
Beleidigung zugefügt haben; denn am allerschwersten ist es ja, denen

Weitere Kostenlose Bücher