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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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zu
verzeihen, die uns mit nichts beleidigt haben, und zwar eben deswegen,
weil sie uns nicht beleidigt haben und folglich unsere Beschwerde über
sie unbegründet ist: das ist es, was ich von den höchstgestellten
Leuten erwartet hatte: das ist's, was ich denselben, als ich hierher
kam, so schnell wie möglich sagen wollte, obgleich ich nicht wußte, wie
ich es sagen sollte ... Sie lachen, Iwan Petrowitsch? Sie denken, ich
hätte für die andern Schichten Furcht gehabt, sei ihr Advokat,
ein Demokrat, ein Gleichheitsapostel?« Hier lachte er krampfhaft, wie
er denn alle Augenblicke ein kurzes, entzücktes Lachen ausstieß. »Ich
habe Furcht für Sie, für Sie alle, für Sie alle zusammen. Ich bin ja
selbst ein Fürst aus einem alten Geschlecht und sitze hier unter
Fürsten. Ich rede hier, um uns alle zu retten; ich rede, damit nicht
unser Stand, ohne etwas bewirkt zu haben, im Dunkel verschwindet,
nachdem er nichts begriffen, sich um alles herumgestritten und alles
verspielt hat. Wozu sollen wir verschwinden und andern unsern Platz
einräumen, wenn wir die vordersten und obersten bleiben können? Wenn
wir die vordersten sein werden, dann werden wir auch die obersten sein.
Wir wollen Diener sein, um die obersten zu werden.«
    Er wollte sich losreißen, um von seinem Sessel aufzustehen; aber der
Alte hielt ihn beständig fest, betrachtete ihn aber mit wachsender
Unruhe.
    »Hören Sie! Ich weiß, daß es nicht gut ist, bloß zu sprechen; besser
ist es, wenn man einfach ein gutes Beispiel gibt und einfach selbst den
Anfang macht ... ich habe bereits den Anfang gemacht ... und ... und
ist es denn wirklich möglich, unglücklich zu sein? Oh, was will mein
Kummer und mein Leid besagen, wenn ich imstande bin glücklich zu sein?
Wissen Sie, ich verstehe nicht, wie man an einem Baum vorbeigehen kann,
ohne darüber glücklich zu sein, daß man ihn sieht; wie man mit einem
Menschen reden und nicht darüber glücklich sein kann, daß man ihn
liebt! Oh, ich verstehe es nur nicht auszudrücken, aber wie viele
schöne Dinge begegnen einem auf Schritt und Tritt, die sogar der
verkommenste Mensch schön findet! Sehen Sie ein Kind an, sehen Sie die
Morgen- und Abendröte an, betrachten Sie ein Gräschen, wie es wächst;
schauen Sie in die Augen, die liebevoll auf Sie blicken ...«
    Er war schon längst während des Redens aufgestanden. Der Alte sah
ihn jetzt erschrocken an. Lisaweta Prokofjewna, die früher als alle
andern merkte, was vorging, rief: »Ach, mein Gott!« und schlug die
Hände zusammen.
    Aglaja lief schnell zu ihm hin, fing ihn gerade noch in ihren Armen
auf und hörte voller Angst mit schmerzverzerrtem Gesicht den wilden
Schrei des Dämons, der den Unglücklichen schüttelte und niederwarf. Der
Kranke lag auf dem Teppich. Jemand hatte noch Zeit gefunden, ihm
schnell ein Kissen unter den Kopf zu schieben.
    Das hatte niemand erwartet. Eine Viertelstunde darauf versuchten
Fürst N., Jewgeni Pawlowitsch und der Alte das Zusammensein wieder
etwas lebendiger zu gestalten; aber schon nach einer weiteren halben
Stunde brachen alle Gäste auf. Dabei erfolgten zahlreiche Äußerungen
der Teilnahme und des Bedauerns; manche sprachen auch ihre Meinung über
den Vorfall aus. Iwan Petrowitsch sagte unter anderm, der junge Mann
sei ein Slawophile oder etwas Ähnliches, indes sei das nicht weiter
gefährlich. Der Alte äußerte sich gar nicht. Nachher allerdings am
nächsten und übernächsten Tag, waren alle in etwas ärgerlicher
Stimmung; Iwan Petrowitsch fühlte sich sogar beleidigt, wenn auch nur
ein wenig. Der General, der Iwan Fjodorowitschs Chef war, benahm sich
eine Zeitlang gegen diesen etwas kühl. Der Patron der Familie, der
Würdenträger, murmelte dem Oberhaupt der Familie unter Kaubewegungen
ein paar tröstende Worte zu, wobei er in schmeichelhafter Weise zum
Ausdruck brachte, daß er an Aglajas Geschick sehr, sehr großen Anteil
nehme. Er war wirklich ein ganz gutherziger Mensch, aber unter den
Gründen, aus denen er bei der Abendgesellschaft dem Fürsten seine
Aufmerksamkeit zugewandt hatte, spielte eine besondere Rolle das
Verhältnis, in welchem der Fürst unlängst zu Nastasja Filippowna
gestanden hatte; er hatte davon gehört, interessierte sich sehr dafür
und hätte sogar gern danach gefragt.
    Die alte Bjelokonskaja sagte, als sie am Abend wegfuhr, zu Lisaweta Prokofjewna:
    »Na ja, er hat sein Gutes und sein Schlechtes; aber wenn du meine
Meinung wissen willst, so muß ich sagen: das Schlechte überwiegt. Du
siehst

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