Der Idiot
Fjodorowitsch im stillen
daran glaubte ... Aber die Sache nahm eine andere Wendung.
Gleich zu Anfang, als der Fürst in den Salon getreten war, hatte er
sich möglichst weit entfernt von der chinesischen Vase hingesetzt, vor
der ihm Aglaja eine solche Angst eingejagt hatte. Konnte man wohl
glauben, daß nach Aglajas gestrigen Worten sich bei ihm eine
unauslöschliche Überzeugung, eine sonderbare wunderliche Ahnung
festgesetzt hatte, er werde unbedingt morgen diese Vase zerbrechen,
möge er sich auch noch so sehr von ihr fernhalten und ein Malheur zu
vermeiden suchen? Und doch war es so. Im Laufe des Abends hatten sich
andere starke, aber lichte Empfindungen in seine Seele ergossen: wir
haben davon bereits gesprochen. Er hatte seine Ahnung vergessen. Als er
von Pawlischtschew reden hörte und Iwan Fjodorowitsch ihn von neuem zu
Iwan Petrowitsch führte und diesen auf ihn aufmerksam machte, da hatte
er sich näher an den Tisch herangesetzt, und zufällig gerade auf den
Sessel neben der gewaltigen, schönen chinesischen Vase, die auf einem
Sockel stand, beinah neben seinem Ellbogen, fast unmittelbar dahinter.
Bei seinen letzten Worten erhob er sich plötzlich von seinem Platz,
machte eine unvorsichtige Bewegung mit dem Arm und mit der Schulter,
und ... es ertönte ein allgemeiner Schrei! Die Vase schwankte, anfangs,
wie wenn sie noch unschlüssig wäre, ob sie einem der alten Herren auf
den Kopf fallen sollte; aber auf einmal neigte sie sich nach der
entgegengesetzten Seite, nach der Seite des nur noch soeben entsetzt
wegspringenden Deutschen, und fiel zu Boden. Gepolter und Aufschrei
folgten; die kostbaren Scherben bedeckten zerstreut den Teppich; alle
Anwesenden waren bestürzt und erschrocken – oh, und was in der Seele
des Fürsten vorging, das läßt sich schwer schildern; doch ist eine
solche Schilderung auch kaum nötig. Aber wir dürfen eine sonderbare
Empfindung nicht unerwähnt lassen, die ihn gerade in diesem Augenblick
überkam und ihm auf einmal aus der Menge aller andern, unklaren und
seltsamen Empfindungen mit aller Deutlichkeit entgegentrat; weder das
Gefühl der Scham, noch der Verdruß über das erregte Ärgernis, noch die
Furcht vor den Folgen, noch die Plötzlichkeit des Ereignisses, nichts
wirkte auf ihn so stark wie der Gedanke, daß die Prophezeiung nun doch
eingetroffen sei! Was eigentlich an diesem Gedanken so Packendes war,
das hätte er sich selbst nicht klarmachen können; er fühlte nur, daß er
im tiefsten Herzen ergriffen war, und stand da wie von einer mystischen
Angst erfaßt. Noch ein Augenblick, und es war ihm, als ob sich alles
vor ihm weitete und an die Stelle der Angst Licht und Freude und
Entzücken träten; die Luft begann ihm zu mangeln, und ... aber der
kritische Augenblick ging vorüber. Gott sei Dank, das Befürchtete war
nicht eingetreten! Er holte wieder Atem und blickte rings um sich.
Es war, als ob er das wirre Treiben, das um ihn herum entstanden
war, nicht verstände; das heißt, er verstand es vollkommen und sah
alles; aber er stand da, als sei er dabei ganz unbeteiligt, als gehe
ihm die Sache in keiner Weise nahe, als sei er, wie der Unsichtbare im
Märchen, in das Zimmer getreten und beobachtete dort Menschen, die ihm
fremd, aber interessant waren. Er sah, wie die Scherben weggeräumt
wurden, hörte schnelle Gespräche, sah Aglaja, die blaß war und ihn
sonderbar anblickte, sehr sonderbar: in ihren Augen war gar kein Haß,
gar kein Zorn sichtbar; sie schaute ihn mit einem erschrockenen, aber
von freundlicher Teilnahme zeugenden Blick an, während sie den andern
einen funkelnden Blick zuwarf ... sein Herz wurde plötzlich von einem
wonnigen Schmerz erfüllt. Endlich sah er mit befremdetem Erstaunen, daß
alle sich wieder hingesetzt hatten und sogar lachten, als ob nichts
geschehen wäre! Noch ein Augenblick, und das Gelächter steigerte sich:
sie lachten jetzt über seinen Anblick, wie er stumm und starr dastand;
aber sie lachten wohlmeinend und heiter; viele begannen mit ihm zu
reden und redeten so freundlich, vor allem Lisaweta Prokofjewna: sie
sprach lachend und sagte etwas sehr, sehr Herzliches. Auf einmal fühlte
er, daß Iwan Fjodorowitsch ihm freundschaftlich auf die Schulter
klopfte; auch Iwan Petrowitsch lachte; aber noch netter, reizender und
liebenswürdiger benahm sich der Alte; er faßte den Fürsten bei der
Hand, drückte sie sanft und schlug mit der flachen andern Hand leise
darauf, wobei er ihm zuredete, wieder zu sich zu kommen, wie man das
mit
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