Der Idiot
teilweise von dem General Iwan
Fjodorowitsch und seiner Gattin Lisaweta Prokofjewna veranlaßt worden
sei. Aber wenn sie auch beide in ihrer maßlosen Herzensgüte wünschen
mochten, den bedauernswerten Irren vom Abgrund zu retten, so mußten sie
sich natürlich doch auf diesen schwachen Versuch beschränken; weder
ihre Lage noch auch vielleicht ihre Herzensstimmung (was nur natürlich
war) konnten sie zu ernsthafteren Anstrengungen anregen. Wir haben
erwähnt, daß sogar die Personen aus der nächsten Umgebung des Fürsten
sich teilweise gegen ihn erklärten. Wjera Lebedjewa beschränkte sich
übrigens darauf, im stillen für sich zu weinen und mehr als früher in
ihrer eigenen Wohnung zu sitzen und weniger zum Fürsten hereinzukommen.
Kolja verlor in dieser Zeit seinen Vater; der Alte war infolge eines
zweiten Schlaganfalls acht Tage nach dem ersten gestorben. Der Fürst
nahm großen Anteil an dem Kummer der Familie und brachte in der ersten
Zeit täglich einige Stunden bei Nina Alexandrowna zu; er war auch bei
der Beerdigung und in der Kirche. Vielen fiel es auf, daß das in der
Kirche anwesende Publikum das Erscheinen und Weggehen des Fürsten mit
unwillkürlichem Geflüster begleitete; dasselbe geschah auch oft auf der
Straße und im Park: wenn er vorbeiging oder vorbeifuhr, fing man an,
von ihm zu reden, nannte seinen Namen und zeigte auf ihn; auch Nastasja
Filippownas Name war aus diesen Gesprächen herauszuhören. Auch bei der
Beerdigung suchten die Leute sie mit den Augen; aber sie war nicht
anwesend. Auch die Hauptmannsfrau war nicht bei der Beerdigung; es war
Lebedjew gelungen, sie für eine Weile fernzuhalten und unschädlich zu
machen. Die Seelenmesse machte auf den Fürsten einen starken,
ergreifenden Eindruck; er flüsterte Lebedjew in Erwiderung auf eine an
ihn gerichtete Frage noch in der Kirche zu, daß dies fast die erste
rechtgläubige Seelenmesse sei, der er beiwohne; er erinnere sich nur,
einmal in seiner Kindheit bei einer Seelenmesse in einer Dorfkirche
zugegen gewesen zu sein.
»Ja, es ist einem, als ob da im Sarg gar nicht derselbe Mensch vor
einem läge, den wir noch vor kurzem zu unserm Vorsitzenden ernannt
haben; erinnern Sie sich noch?« flüsterte Lebedjew dem Fürsten zu. »Wen
suchen Sie denn?«
»Ich sehe mich nur so um; es schien mir ...«
»Suchen Sie Rogoschin?«
»Ist er etwa hier?«
»Ja, er ist in der Kirche.«
»Darum war mir auch, als ob seine Augen auftauchten«, murmelte der
Fürst in starker Verwirrung. »Aber ... warum ist er denn hier? Ist er
eingeladen worden?«
»Das ist niemandem in den Sinn gekommen. Er ist ja mit der Familie
überhaupt nicht bekannt. Hier sind ja allerlei Leute, ein buntes
Publikum. Aber warum wundern Sie sich darüber so? Ich treffe ihn jetzt
häufig; in der letzten Woche bin ich ihm schon ungefähr viermal hier in
Pawlowsk begegnet.«
»Ich habe ihn seitdem noch nicht ein einziges Mal gesehen«, murmelte der Fürst.
Da auch Nastasja Filippowna ihm nicht mitgeteilt hatte, daß sie
Rogoschin »seitdem« gesehen hätte, so gelangte der Fürst jetzt zu der
Ansicht, daß Rogoschin aus irgendeinem Grund es absichtlich vermied,
ihnen vor die Augen zu kommen. Diesen ganzen Tag über war er sehr
nachdenklich, während Nastasja Filippowna den ganzen Tag und den ganzen
Abend sich in überaus heiterer Stimmung befand. Kolja, der sich mit dem
Fürsten noch vor dem Tod seines Vaters versöhnt hatte, schlug ihm, da
die Sache nötig und unaufschiebbar war, als Marschälle Keller und
Burdowski vor. Er verbürgte sich dafür, daß Keller sich anständig
benehmen und vielleicht sogar »von Nutzen« sein werde; von Burdowski
brauchte man gar nicht erst zu reden; der war ein stiller, bescheidener
Mensch. Nina Alexandrowna und Lebedjew bemerkten dem Fürsten, wenn die
Hochzeit nun einmal beschlossene Sache sei, warum sie dann gerade in
Pawlowsk und noch dazu in der Hochsaison der Sommerfrische so
öffentlich gefeiert werden solle? Ob es nicht besser sei, sie in
Petersburg und zu Hause zu veranstalten? Dem Fürsten war es durchaus
klar, worauf alle diese Befürchtungen hinzielten; aber er antwortete
kurz und schlicht, dies sei Nastasja Filippownas dringender Wunsch.
Am nächsten Tag erschien bei dem Fürsten auch Keller, der
benachrichtigt worden war, daß er Hochzeitsmarschall sein solle. Bevor
er eintrat, blieb er in der Tür stehen, hob, sobald er den Fürsten
erblickte, die rechte Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger in die Höhe
und rief, wie wenn er einen
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