Der Idiot
damaligen Abend bei Nastasja Filippowna sagten;
aber da war noch ein Moment, das Sie ausgelassen haben, weil Sie nichts
davon wissen: ich habe ihr Gesicht angeschaut! Schon an jenem
Vormittag, im Porträt, hatte ich es nicht ertragen können ... Sehen
Sie, Wjera, Wjera Lebedjewa, die hat ganz andere Augen; ich ... ich
fürchte mich vor ihrem Gesicht!« fügte er in großer Angst hinzu.
»Sie fürchten sich?«
»Ja; sie ist wahnsinnig!« flüsterte er erbleichend.
»Sie wissen das bestimmt?« fragte Jewgeni Pawlowitsch höchlichst interessiert.
»Ja, bestimmt; jetzt weiß ich es bereits bestimmt; jetzt, in diesen Tagen, bin ich mir darüber völlig klar geworden!«
»Aber was tun Sie sich denn da an?« rief Jewgeni Pawlowitsch
erschrocken. »Also heiraten Sie aus einer Art von Angst? Das ist ja gar
nicht zu begreifen ... Vielleicht lieben Sie sie auch gar nicht einmal?«
»O doch, ich liebe sie von ganzem Herzen! Sie ist ja ein Kind; jetzt
ist sie ein Kind, ganz und gar ein Kind! Oh, Sie wissen nur nichts
davon!«
»Und gleichzeitig haben Sie Aglaja Iwanowna Ihre Liebe beteuert?«
»Ja, ja!«
»Wie ist das möglich? Also wollen Sie alle beide lieben?«
»Ja, ja.«
»Ich bitte Sie, Fürst, was reden Sie! Kommen Sie zur Besinnung!«
»Ich kann ohne Aglaja nicht leben ... ich muß unbedingt mit ihr
sprechen! Ich ... ich werde bald im Schlaf sterben; ich dachte schon,
ich würde in dieser Nacht im Schlaf sterben. Oh, wenn Aglaja es wüßte,
alles wüßte; das heißt schlechthin alles. Denn hierbei muß man alles
wissen; das ist das erste Erfordernis! Warum können wir niemals alles über einen andern erfahren, wo es doch nötig ist, wo
der andere sich schuldig gemacht hat ...! Ich weiß übrigens nicht, was
ich rede; ich bin ganz verwirrt; Sie haben mich furchtbar aufgeregt ...
Hat sie denn wirklich auch jetzt noch ein solches Gesicht wie damals,
als sie weglief? O ja, ich habe eine Schuld auf mich geladen!
Höchstwahrscheinlich bin ich an allem schuld. Ich weiß noch nicht,
inwiefern; aber ich bin schuld. Es liegt da etwas vor, was ich Ihnen
nicht erklären kann, Jewgeni Pawlowitsch; ich finde nicht die richtigen
Ausdrücke; aber ... Aglaja Iwanowna wird es verstehen! Oh, ich habe
immer geglaubt, daß sie es verstehen wird.«
»Nein, Fürst, sie wird es nicht verstehen! Aglaja Iwanowna hat wie
eine Frau, wie ein Mensch geliebt, und nicht wie ... wie ein abstrakter
Geist. Wissen Sie was, mein armer Fürst: das Wahrscheinlichste ist, daß
Sie weder die eine noch die andere jemals geliebt haben!«
»Ich weiß es nicht ... vielleicht haben Sie in vielem recht, Jewgeni
Pawlowitsch. Sie sind ein sehr verständiger Mensch, Jewgeni
Pawlowitsch; ach, ich bekomme wieder Kopfschmerzen; lassen Sie uns zu
ihr gehen! Um Gottes willen, um Gottes willen!«
»Aber ich sage Ihnen ja, daß sie nicht in Pawlowsk ist; sie ist in Kolmino.«
»Dann wollen wir nach Kolmino fahren; gleich, gleich!«
»Das ist un-mög-lich!« erwiderte Jewgeni Pawlowitsch gedehnt und stand auf.
»Hören Sie, ich werde einen Brief schreiben; bringen Sie den Brief hin!«
»Nein, Fürst, nein! Dispensieren Sie mich von solchen Aufträgen; ich kann sie nicht ausführen!«
Sie trennten sich. Jewgeni Pawlowitsch ging in seltsamen Gedanken
fort: auch er war zu der Überzeugung gekommen, daß der Fürst nicht ganz
bei Verstand sei. Und was hatte es eigentlich mit diesem Gesicht auf
sich, das er fürchtete, und das er so liebte? Und gleichzeitig konnte
er, Aglajas beraubt, vielleicht wirklich sterben, so daß Aglaja
vielleicht niemals erfahren würde, wie sehr er sie geliebt hatte! Haha!
Und wie konnte er zwei zugleich lieben! Mit zwei verschiedenen Arten
von Liebe? Das war interessant ... Der arme Idiot! Und was würde nun
aus ihm werden?
X
Der Fürst starb indes nicht vor seiner Hochzeit, weder im Wachen
noch »im Schlaf«, wie er es im Gespräch mit Jewgeni Pawlowitsch
prophezeit hatte. Vielleicht schlief er wirklich schlecht und hatte
schlimme Träume; aber bei Tag, im Verkehr mit Menschen, schien er
gesund und sogar zufrieden zu sein, nur manchmal sehr nachdenklich,
aber dies namentlich wenn er allein war. Die Hochzeit wurde beeilt; sie
sollte etwa eine Woche nach Jewgeni Pawlowitschs Besuch stattfinden.
Bei solcher Eile hätten selbst die besten Freunde des Fürsten, wenn er
solche gehabt hätte, sich in ihren Bemühungen, den unglücklichen
Verrückten zu retten, getäuscht gesehen. Es ging ein Gerücht, als ob
Jewgeni Pawlowitschs Besuch
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