Der Idiot
noch
boshafter, wagte aber nicht, seine Bosheit zum Ausdruck zu bringen. Es
ging ihm sehr schlecht, und an allen Anzeichen war zu sehen, daß er
jetzt bald sterben werde. Ein Geheimnis hatte er gar nicht mitzuteilen;
er sprach nur in dringendem Ton, sozusagen atemlos vor Aufregung (die
aber vielleicht gekünstelt war), die Bitte aus, der Fürst möge sich vor
Rogoschin in acht nehmen. »Das ist ein Mensch, der von seinem Recht
niemandem etwas abtritt; der ist von anderer Art, Fürst, wie Sie und
ich; wenn der etwas will, schrickt er vor nichts zurück ...«, und so
weiter und so weiter. Der Fürst fing an, eingehendere Fragen zu
stellen, und wünschte, irgendwelche Tatsachen zu hören; aber Tatsachen
waren keine vorhanden, nur persönliche Gefühle und Empfindungen
Ippolits. Zu seiner großen Genugtuung gelang es Ippolit schließlich,
den Fürsten in große Angst zu versetzen. Anfangs wollte der Fürst auf
einige besondere Fragen des Kranken nicht antworten und lächelte nur
über seine Ratschläge, davonzugehen, nötigenfalls sogar ins Ausland;
russische Geistliche gebe es überall, und man könne sich auch dort
trauen lassen. Zum Schluß aber sprach Ippolit folgenden Gedanken aus:
»Ich fürchte ja nur für Aglaja Iwanowna; Rogoschin weiß, wie Sie sie
lieben; eine Liebe ist der andern wert; Sie haben ihm Nastasja
Filippowna weggenommen; er wird Aglaja Iwanowna töten; obgleich sie
jetzt nicht mehr die Ihrige ist, wird das doch für Sie ein großer
Schmerz sein, nicht wahr?« Er erreichte damit seine Absicht: der Fürst
war, als er von ihm wegging, ganz wie von Sinnen.
Diese Warnungen vor Rogoschin erfolgten nur einen Tag vor
demjenigen, auf den die Hochzeit angesetzt war. Am Abend dieses Tages
war der Fürst zum letztenmal vor der Trauung mit Nastasja Filippowna
zusammen; aber Nastasja Filippowna war nicht imstande, ihn zu
beruhigen, und steigerte sogar im Gegenteil in der letzten Zeit seine
Unruhe immer mehr und mehr. Früher, das heißt einige Tage vorher, hatte
sie beim Zusammensein mit ihm alle Anstrengungen gemacht, um ihn
aufzuheitern, da seine traurige Miene ihr Angst machte; sie hatte sogar
versucht, ihm etwas vorzusingen; am häufigsten aber hatte sie ihm
allerlei Komisches aus dem Schatz ihres Gedächtnisses erzählt. Der
Fürst stellte sich dann immer so, als ob er lache und lachte auch
manchmal wirklich über ihren glänzenden Verstand und den frischen
Affekt, mit dem sie dann erzählte, wenn sie sich hinreißen ließ, und
sie ließ sich oft hinreißen. Wenn sie den Fürsten lachen sah und
wahrnahm, welchen Eindruck ihre Erzählungen auf ihn machten, geriet sie
in Entzücken und wurde stolz auf sich selbst. Jetzt aber wuchs ihre
Traurigkeit und Versunkenheit fast mit jeder Stunde. Sein Urteil über
Nastasja Filippowna stand bereits fest; sonst wäre ihm natürlich alles
an ihr jetzt rätselhaft und unbegreiflich erschienen. Aber er glaubte
aufrichtig, daß sie noch gleichsam eine Auferstehung durchmachen könne.
Er hatte ganz wahrheitsgemäß zu Jewgeni Pawlowitsch gesagt, daß er sie
aufrichtig und herzlich liebe, und in seiner Liebe zu ihr lag wirklich
eine Zuneigung wie zu einem bedauernswerten, kranken Kind, das man
schwer oder geradezu unmöglich sich selbst überlassen kann. Er legte
niemandem seine Gefühle für sie dar und mochte nicht einmal davon
sprechen, wenn ein solches Gespräch sich nicht ganz vermeiden ließ.
Wenn er mit Nastasja Filippowna selbst zusammen war, redeten sie
niemals »von ihren Gefühlen«, gerade als ob sie sich beide das Wort
darauf gegeben hätten. An ihrem gewöhnlichen, heiteren und lebhaften
Gespräch konnte jeder teilnehmen. Darja Alexejewna erzählte später, es
sei ihr diese ganze Zeit her eine Freude und ein Genuß gewesen, die
beiden anzusehen.
Aber dieses sein Urteil über Nastasja Filippownas seelischen und
geistigen Zustand befreite ihn zum Teil auch von vielen anderen
Zweifeln. Jetzt war sie eine ganz andere Frau als diejenige, die er vor
drei Monaten gekannt hatte. Er dachte zum Beispiel jetzt nicht mehr
darüber nach, warum sie damals, als ihre Verheiratung mit ihm
bevorstand, unter Tränen, Verwünschungen und Vorwürfen geflüchtet war
und jetzt selbst auf Beschleunigung der Hochzeit drang. Der Fürst
meinte, sie fürchte also nicht mehr wie damals, daß die Ehe mit ihr ihn
unglücklich machen werde. Ein so schnell herangewachsenes
Selbstvertrauen konnte seiner Ansicht nach bei ihr nicht natürlich
sein. Andrerseits konnte dieses Selbstvertrauen nicht
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