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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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der drückenden Hitze eine halbe Stunde,
vielleicht auch noch länger, auf und ab; aber dieses Mal bewegte sich
nichts; die Fenster öffneten sich nicht; die weißen Rouleaus waren
unbeweglich. Er sagte sich endgültig, daß es ihm gewiß auch vorhin nur
so vorgekommen sei, und daß die Fenster allem Anschein nach so trübe
und so lange nicht geputzt seien, daß man es schwer erkennen könne,
wenn wirklich jemand durch die Scheiben sähe. Erfreut über diesen
Gedanken, fuhr er wieder nach der Ismailowskaja-Straße zu der
Lehrerwitwe.
    Dort erwartete man ihn bereits. Die Lehrerwitwe war schon an drei,
vier Stellen gewesen und sogar selbst zu Rogoschin gefahren, hatte aber
nicht die geringste Spur gefunden. Der Fürst hörte schweigend zu, trat
ins Zimmer, setzte sich auf das Sofa und blickte alle an, wie wenn er
gar nicht verstände, wovon sie zu ihm redeten. Sonderbar: bald war er
außerordentlich aufmerksam, bald auf einmal wurde er wieder in
unglaublichem Maße zerstreut. Die ganze Familie erklärte später, er sei
an diesem Tag »ein ganz erstaunlich sonderbarer Mensch« gewesen, so daß
sich vielleicht damals schon alles bei ihm »angedeutet« habe. Er stand
schließlich auf und bat, man möchte ihm die früher von Nastasja
Filippowna bewohnten Zimmer zeigen. Dies waren zwei große, helle, hohe,
sehr anständig möblierte Zimmer, deren Mietpreis nicht billig war. Alle
diese Damen erzählten später, der Fürst habe in den Zimmern jeden
Gegenstand betrachtet; er habe auf einem Tischchen ein aufgeschlagenes
Buch aus der Leihbibliothek gesehen, den französischen Roman »Madame
Bovary«, habe an der aufgeschlagenen Stelle die Ecke eines Blattes
umgebogen, um die Erlaubnis gebeten, das Buch mitnehmen zu dürfen, und
ohne auf den Einwand zu hören, daß es Eigentum der Leihbibliothek sei,
es sofort in die Tasche gesteckt. Er habe sich an das offene Fenster
gesetzt und, als er den mit Kreide vollgeschriebenen Spieltisch bemerkt
habe, gefragt, wer da gespielt habe. Sie hätten ihm erzählt, Nastasja
Filippowna habe jeden Abend mit Rogoschin Schafskopf, Préférence,
Müller, Whist, Eigene Trümpfe und alle möglichen Spiele gespielt; das
Kartenspielen sei bei ihnen erst in der letzten Zeit, nach der
Übersiedlung von Pawlowsk nach Petersburg, aufgekommen; denn Nastasja
Filippowna habe immer geklagt, sie langeweile sich, und Rogoschin sitze
die ganzen Abende schweigend da und wisse über nichts zu reden; sie
habe sogar häufig darüber geweint; da habe Rogoschin eines Abends auf
einmal ein Spiel Karten aus der Tasche gezogen; Nastasja Filippowna
habe laut aufgelacht, und sie hätten angefangen zu spielen. Der Fürst
fragte, wo die Karten seien, mit denen sie gespielt hätten. Aber die
Karten waren nicht zu finden; die Karten hatte Rogoschin immer selbst
in der Tasche mitgebracht, jeden Tag ein neues Spiel, und dann wieder
mit fortgenommen.
    Die Damen rieten ihm, noch einmal zu Rogoschin zu fahren und noch
einmal möglichst stark zu klingeln und zu klopfen, aber nicht sogleich,
sondern erst am Abend; vielleicht stelle sich heraus, daß er da sei.
Die Lehrerwitwe erbot sich, selbst unterdes vor dem Abend nach Pawlowsk
zu Darja Alexejewna zu fahren, ob dort irgend etwas bekannt sei. Sie
baten den Fürsten, jedenfalls um zehn Uhr abends noch einmal zu ihnen
zu kommen, damit sie für den nächsten Tag Verabredungen treffen
könnten. Obwohl sie ihn auf alle Weise zu trösten und ihm Hoffnung zu
machen suchten, hatte sich doch völlige Verzweiflung der Seele des
Fürsten bemächtigt. In unbeschreiblichem Kummer ging er zu Fuß nach
seinem Gasthaus zurück. In dem sommerlichen, staubigen, stickigen
Petersburg fühlte er sich wie in einem Schraubstock; er drängte sich
zwischen grobem oder betrunkenem Volk durch, betrachtete ohne Zweck die
Gesichter und machte vielleicht einen weiten Umweg; es war schon beinah
Abend, als er im Gasthaus in sein Zimmer trat. Er beschloß, sich ein
Weilchen zu erholen und dann wieder zu Rogoschin zu gehen, wie ihm
geraten worden war, setzte sich auf das Sofa, stützte sich mit beiden
Ellbogen auf den Tisch und dachte nach.
    Gott weiß, wie lange er so dasaß, und Gott weiß, woran er dachte.
Vieles war es, was ihn ängstigte, und mit Schmerz und Qual war er sich
dieser Angst bewußt. Es fiel ihm Wjera Lebedjewa ein; dann dachte er,
daß Lebedjew vielleicht etwas von dieser Sache wisse oder, wenn er
nichts davon wisse, vielleicht schneller und leichter als er etwas
darüber in Erfahrung bringen

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