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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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eine
Weile in Gedanken versunken dagesessen hatte und nun wieder zu sich kam.
    »Aber zu welchem Zweck haben Sie uns denn das erzählt?«
    »Eine besondere Absicht hatte ich nicht dabei ... es ist mir eingefallen ... ich kam im Gespräch darauf ...«
    »Sie brechen sehr kurz ab«, bemerkte Alexandra. »Sie wollten gewiß
daraus folgern, Fürst, daß man keinen Augenblick nach Kopeken
abschätzen kann und daß fünf Minuten mitunter wertvoller sind als ein
Schatz Goldes. Das ist alles sehr löblich; aber gestatten Sie doch eine
Frage: wie hat sich denn nun dieser Freund verhalten, der Ihnen eine
solche Leidensgeschichte erzählt hat? Seine Strafe ist ja umgewandelt
worden, und man hat ihm also dieses endlose Leben geschenkt. Was hat er
denn nachher mit diesem Reichtum angefangen? Hat er denn nun jede
Minute sorgsam ausgenutzt?«
    »Oh nein, er hat mir selbst gesagt (denn ich habe ihn danach
gefragt), daß er keineswegs so gelebt, sondern viele, viele Minuten
verloren habe.«
    »Nun also, da haben Sie einen Beleg dafür, daß man tatsächlich nicht
imstande ist, das Leben vollständig auszukosten. Es muß wohl einen
Grund geben, weshalb das unmöglich ist.«
    »Ja, es muß aus irgendeinem Grunde unmöglich sein«, wiederholte der
Fürst. »Ich habe mir das selbst gesagt ... Aber ich weiß nicht, wie es
kommt: ich glaube es doch nicht so recht ...«
    »Das heißt, Sie glauben, daß Sie verständiger leben werden als alle anderen Menschen?« fragte Aglaja.
    »Ja, auch das habe ich manchmal geglaubt.«
    »Und Sie glauben es noch?«
    »Und ... ich glaube es noch«, versetzte der Fürst und sah Aglaja mit
demselben stillen, ja schüchternen Lächeln an wie vorher; dann aber
lachte er sofort wieder auf, und sein auf sie gerichteter Blick wurde
fröhlich und heiter.
    »Sehr bescheiden gesprochen«, bemerkte Aglaja in einem Ton, der beinah gereizt klang.
    »Wie tapfer Sie doch alle sind! Da lachen Sie nun, und auf mich
wirkte seine ganze Erzählung so stark, daß ich nachher davon träumte,
und namentlich von diesen fünf Minuten ...«
    Er ließ seine Augen noch einmal prüfend und ernst über seine Zuhörerinnen hinschweifen.
    »Sie zürnen mir doch nicht aus irgendeinem Grund?« fragte er
plötzlich; er war anscheinend verlegen, blickte aber doch allen gerade
in die Augen.
    »Aber weswegen denn?« riefen alle drei Mädchen erstaunt.
    »Nun, weil ich sozusagen den Schulmeister spiele ...«
    Alle lachten.
    »Wenn Sie mir zürnen, dann werden Sie mir, bitte, wieder gut!« sagte
er. »Ich weiß ja selbst, daß ich weniger als andere gelebt habe und
weniger als alle andern vom Leben verstehe. Ich rede vielleicht
manchmal sehr wunderlich ...«
    Hier geriet er tatsächlich ganz in Verwirrung.
    »Wenn Sie sagen, daß Sie glücklich waren, so haben Sie nicht weniger
gelebt als andere, sondern mehr; warum verstellen Sie sich dann also
und entschuldigen sich?« begann Aglaja in scharfem, zänkischem Ton.
»Sie brauchen sich übrigens nicht darüber zu beunruhigen, daß Sie uns
belehren; von einem solchen Triumph Ihrerseits kann gar nicht die Rede
sein. Bei Ihrem Quietismus kann man auch ein Leben, das hundert Jahre
dauert, mit Glück anfüllen. Mag man Ihnen nun eine Hinrichtung oder
einfach einen Finger zeigen, Sie werden aus dem einen und aus dem
andern in gleicher Weise einen löblichen Gedanken schöpfen und dabei
zufrieden und glücklich sein. Auf die Art läßt sich das Leben ertragen.«
    »Ich verstehe nicht, warum du dich immer so ereiferst«, sagte die
Generalin, die schon lange die Gesichter der Redenden beobachtet hatte,
»und wovon ihr eigentlich redet, daraus kann ich auch nicht klug
werden. Von was für einem Finger ist denn die Rede? Was ist das für ein
Unsinn? Der Fürst spricht sehr schön; nur ist das, was er sagt, ein
bißchen zu traurig. Warum entmutigst du ihn? Als er anfing, lachte er,
und jetzt ist er ganz verstört.«
    »Ach was, Mama! Aber es ist schade, Fürst, daß Sie keine Hinrichtung
mit angesehen haben; ich hätte Sie gern über einen Punkt befragt.«
    »Ich habe eine Hinrichtung mit angesehen«, versetzte der Fürst.
    »Wirklich?« rief Aglaja. »Das hätte ich mir von vornherein denken
sollen! Das setzt dem Ganzen die Krone auf. Nun also, wenn Sie eine
Hinrichtung mit angesehen haben, wie können Sie dann sagen, daß Sie die
ganze Zeit über glücklich gelebt haben? Habe ich nicht recht?«
    »Fand denn die Hinrichtung in Ihrem Dorf statt?« fragte Adelaida.
    »Ich habe ihr in Lyon beigewohnt; ich war

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