Der Idiot
sich in diesem engen Raum behelfen, mußte hier seine
Schulaufgaben erledigen und auf einem andern sehr alten, schmalen,
kurzen Sofa und einem zerrissenen Laken schlafen; vor allen Dingen aber
mußte er den Vater versorgen und beaufsichtigen; denn der Aufsicht wurde dieser von Tag zu
Tag mehr bedürftig. Dem Fürsten wurde das mittlere der drei Zimmer
angewiesen; in dem ersten Zimmer, rechts davon, wohnte
Ferdyschtschenko, und das dritte, links, stand noch leer. Aber Ganja
führte den Fürsten zunächst nach der von der Familie eingenommenen
Wohnungshälfte. Diese Hälfte bestand aus einem Wohnzimmer, das sich, so
oft es nötig war, in ein Eßzimmer verwandelte, ferner aus einem Salon,
der jedoch Salon nur vormittags war und sich am Abend in Ganjas
Arbeitszimmer und in sein Schlafzimmer verwandelte, und endlich aus
einem dritten, engen und stets geschlossen gehaltenen Zimmer: dies war
Nina Alexandrownas und Warwara Ardalionownas Schlafzimmer. Mit einem
Wort: alles in dieser Wohnung war beengt und zusammengedrängt; Ganja
knirschte im stillen nur so mit den Zähnen; obgleich er gegen seine
Mutter respektvoll war und zu sein wünschte, so konnte man doch beim
ersten Blick, den man in dieses Familienleben tat, bemerken, daß er
hier einen argen Despotismus ausübte.
Nina Alexandrowna befand sich im Salon nicht allein; bei ihr saß
Warwara Ardalionowna; beide waren mit Stricken beschäftigt und im
Gespräch mit einem Gast, Iwan Petrowitsch Ptizyn, begriffen. Nina
Alexandrowna mochte etwa fünfzig Jahre alt sein; sie hatte ein mageres,
eingefallenes Gesicht und dunkle, schwarze Stellen unter den Augen. Ihr
Aussehen war kränklich und etwas vergrämt; aber ihre Miene und ihr
Blick machten doch einen ziemlich angenehmen Eindruck; gleich aus ihren
ersten Worten konnte ein jeder auf ihren ernsten, echt würdevollen
Charakter schließen. Trotz ihres traurigen Gesichtsausdrucks merkte
man, daß es ihr an Festigkeit und Entschlossenheit nicht mangelte. Ihre
Kleidung war sehr bescheiden, von dunkler Farbe und ganz von der Art,
wie sie alle Frauen tragen; aber ihr Benehmen, ihre Ausdrucksweise und
ihre gesamten Manieren bekundeten eine Frau, die sich ehemals in der
besten Gesellschaft bewegt hatte.
Warwara Ardalionowna war ein Mädchen von ungefähr dreiundzwanzig
Jahren, von mittlerer Statur, ziemlich mager, mit einem Gesicht, das,
ohne übermäßig hübsch zu sein, doch die geheime Kunst besaß, auch ohne
Schönheit zu gefallen und eine starke Anziehungskraft auszuüben. Der
Blick ihrer grauen Augen konnte zeitweilig recht heiter und freundlich
sein, war aber doch meist ernst und nachdenklich, manchmal sogar zu
sehr, besonders in letzter Zeit. Festigkeit und Entschlossenheit waren
auch in ihrem Gesicht ausgeprägt; man hatte aber die Empfindung, daß
diese Festigkeit bei ihr mit noch größerer Energie und Tatkraft gepaart
war als bei der Mutter. Warwara Ardalionowna war recht aufbrausend, und
ihr Bruder fürchtete sich sogar mitunter vor den Ausbrüchen ihres
hitzigen Temperaments. Diese Furcht teilte auch der Gast, der
augenblicklich bei den Damen saß, Iwan Petrowitsch Ptizyn. Dieser war
ein noch ziemlich junger Mann, nämlich gegen dreißig Jahre alt, in
bescheidener, aber anständiger Kleidung, von angenehmem, aber
gewissermaßen allzu ehrbarem Wesen. Sein dunkelblondes Bärtchen ließ
erkennen, daß er keine dienstliche Stellung einnahm. Er wußte beim
Gespräch verständig und hübsch zu reden, verhielt sich aber meist
schweigsam. Im ganzen genommen machte er einen recht angenehmen
Eindruck. Er war Warwara Ardalionowna gegenüber augenscheinlich nicht
unempfindlich und verbarg seine Gefühle nicht. Warwara Ardalionowna
behandelte ihn freundschaftlich, zögerte aber noch, auf manche seiner
Fragen zu antworten; ja, sie liebte solche Fragen nicht einmal; Ptizyn
ließ sich übrigens dadurch in keiner Weise entmutigen. Nina
Alexandrowna war gegen ihn freundlich und hatte in der letzten Zeit
sogar angefangen, ihm viel Vertrauen zu schenken. Es war übrigens
bekannt, daß er sich speziell damit beschäftigte, Geld auf mehr oder
weniger sichere Pfänder zu hohen Prozenten auszuleihen. Mit Ganja war
er sehr befreundet.
Ganja, der seine Mutter in sehr trockener Manier und seine Schwester
gar nicht begrüßt hatte, stellte den Fürsten umständlich, aber in
stockender Rede vor und führte dann sogleich Ptizyn mit sich aus dem
Zimmer. Nina Alexandrowna sagte dem Fürsten ein paar freundliche Worte
und gab ihrem Sohn Kolja, der
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