Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
Vom Netzwerk:
durch die Tür hereinschaute, die Weisung,
ihn in das mittlere Zimmer zu führen. Kolja war ein Knabe mit einem
fröhlichen, recht netten Gesicht und zutraulichem, natürlichem Benehmen.
    »Wo ist denn Ihr Gepäck?« fragte er, als er den Fürsten in das Zimmer führte.
    »Ich habe nur ein Bündelchen; das habe ich im Vorzimmer gelassen.«
    »Ich werde es Ihnen sofort holen. Unsere ganze Dienerschaft besteht
aus der Köchin und Matrona, so daß auch ich mithelfen muß. Warja 2 beaufsichtigt alles und ärgert sich viel über uns. Ganja sagt, Sie seien heute aus der Schweiz angekommen?«
    »Ja.«
    »Ist es in der Schweiz schön?«
    »Ja, sehr schön.«
    »Sind da Berge?«
    »Ja.«
    »Ich will Ihnen gleich Ihre Bündel holen.«
    Warwara Ardalionowna trat ins Zimmer.
    »Matrona wird Ihnen sofort das Bett überziehen. Haben Sie einen Koffer?«
    »Nein, nur ein Bündelchen. Ihr Bruder ist es eben holen gegangen; es ist im Vorzimmer.«
    »Es sind keine Bündel da außer diesem kleinen; wo haben Sie sie denn
hingelegt?« fragte Kolja, der wieder ins Zimmer zurückkehrte.
    »Außer diesem habe ich überhaupt keins«, erwiderte der Fürst, indem er sein Bündelchen in Empfang nahm.
    »So, so! Und ich dachte schon, Ferdyschtschenko hätte es vielleicht weggenommen.«
    »Schwatz keinen Unsinn!« sagte Warwara in strengem Ton. Auch dem
Fürsten gegenüber bediente sie sich einer trockenen, nur soeben noch
höflichen Redeweise.
    »Chère Babette, mit mir könntest du etwas freundlicher umgehen; ich bin ja nicht Ptizyn.«
    »Dich kann man noch durchhauen, Kolja, so dumm bist du noch. Wenn
Sie irgendeinen Wunsch haben, können Sie sich an Matrona wenden; das
Mittagessen findet um halb fünf statt. Sie können mit uns zusammen
speisen oder auch auf Ihrem Zimmer, wie es Ihnen beliebt. Komm mit,
Kolja, störe den Herrn nicht!«
    »Nun, dann wollen wir gehen, du resolute Person!«
    Beim Hinausgehen stießen sie mit Ganja zusammen.
    »Ist der Vater zu Hause?« fragte Ganja seinen Bruder, und auf Koljas bejahende Antwort flüsterte er ihm etwas ins Ohr.
    Kolja nickte mit dem Kopf und ging hinter Warwara Ardalionowna hinaus.
    »Nur zwei Worte, Fürst! Ich habe über all diesen ... Geschäften ganz
vergessen, es Ihnen zu sagen. Eine kleine Bitte: wenn es Sie nicht zu
große Anstrengung kostet, so plaudern Sie weder hier von dem, was
soeben zwischen mir und Aglaja vorgefallen ist, noch dort von dem, was
Sie hier vorfinden werden; denn auch hier gibt es genug Widerwärtiges.
Hol das alles der Teufel! ... Halten Sie wenigstens heute damit zurück!«
    »Ich versichere Ihnen, daß ich weit weniger geplaudert habe, als Sie
glauben«, versetzte der Fürst, etwas gereizt durch Ganjas Vorwürfe.
    Die Beziehungen zwischen ihnen gestalteten sich offenbar immer schlechter und schlechter.
    »Na, ich habe durch Ihre Schuld heute schon genug auszustehen gehabt. Mit einem Wort, ich bitte Sie darum.«
    »Wollen Sie noch dies bedenken, Gawrila Ardalionowitsch: Wodurch war
ich denn vorhin verpflichtet, von dem Bild zu schweigen, und warum
durfte ich nicht davon reden? Sie hatten mich ja nicht um
Verschwiegenheit ersucht.«
    »Pfui, was für ein häßliches Zimmer!« bemerkte Ganja, indem er
verächtlich um sich schaute. »So dunkel, und die Fenster gehen auf den
Hof! Sie haben es in jeder Hinsicht bei uns schlecht getroffen ... Na,
das ist nicht meine Sache; das Zimmervermieten ist nicht mein Ressort.«
    Ptizyn blickte herein und rief Ganja ab; dieser verließ den Fürsten
eilig und ging hinaus, trotzdem er eigentlich noch etwas hatte sagen
wollen; aber er hatte damit gezaudert und sich gewissermaßen geschämt,
davon anzufangen. Auch das Schimpfen über das Zimmer hatte seinen Grund
nur in Ganjas Verlegenheit gehabt.
    Kaum hatte sich der Fürst gewaschen und seine Toilette einigermaßen
in Ordnung gebracht, als sich die Tür von neuem öffnete und eine neue
Gestalt hereinschaute.
    Dies war ein Herr von etwa dreißig Jahren, ziemlich groß gewachsen,
breitschultrig, mit großem Kopf und krausem, rötlichem Haar. Sein
Gesicht war fleischig und gerötet, die Lippen dick, die Nase breit und
platt; die kleinen, verschwommenen, spöttischen Augen blinzelten
fortwährend. Im ganzen machte sein Wesen den Eindruck ziemlicher
Frechheit. Seine Kleidung war unsauber. Er öffnete die Tür anfangs nur
so weit, daß er den Kopf hindurchstecken konnte. Dieser
hindurchgesteckte Kopf sah sich etwa fünf Sekunden lang im Zimmer um;
dann öffnete sich die Tür langsam weiter,

Weitere Kostenlose Bücher