Der Idiot
sämtlich »durchaus anständig«. Aber es lag noch
eine große Zukunft vor ihm; er konnte es abwarten, konnte es noch sehr
abwarten, und alles mußte zu seiner Zeit und in der richtigen Ordnung
kommen. Auch was sein Lebensalter anlangte, befand sich General
Jepantschin noch, was man zu nennen pflegt, in den besten Jahren, das
heißt, er war sechsundfünfzig Jahre alt, nicht älter, was jedenfalls
ein blühendes Lebensalter darstellt, ein Lebensalter, mit dem
eigentlich erst das richtige Leben beginnt. Seine Gesundheit, seine
frische Gesichtsfarbe, die kräftigen, wenn auch schwarzen Zähne, der
stämmige, untersetzte Körperbau, der ernste Ausdruck morgens im Dienst
und die heitere Miene abends beim Kartenspiel oder bei Seiner Erlaucht:
all dies trug zu seinen gegenwärtigen und künftigen Erfolgen bei und
bestreute den Lebensweg Seiner Exzellenz mit Rosen.
Der General erfreute sich einer blühenden Familie. Allerdings gab es
hier für ihn nicht lauter Rosen; aber dafür war so manches da, worauf
schon seit längerer Zeit die wichtigsten Hoffnungen und Bestrebungen
Seiner Exzellenz in ernster, herzlicher Empfindung gerichtet waren. Und
welche Bestrebungen im Leben könnten auch wichtiger und heiliger sein
als die elterlichen? Woran soll jemand sein Herz hängen, wenn nicht an
die Familie? Die Familie des Generals bestand aus seiner Gattin und
drei erwachsenen Töchtern. Der General hatte in sehr jugendlichem Alter
geheiratet, als er noch im Range eines Leutnants stand, und zwar ein
mit ihm fast gleichaltriges Mädchen, das weder Schönheit noch Bildung
besaß und ihm nur fünfzig Seelen mitbrachte, die allerdings als
Grundlage für die weitere günstige Entwicklung seiner
Vermögensverhältnisse dienten. Aber der General murrte in der Folgezeit
nie über seine frühe Heirat, betrachtete sie nie als einen
unglücklichen Jugendstreich, und seine Gattin schätzte er so hoch und
fürchtete sich vor ihr manchmal so sehr, daß er sie sogar liebte. Die
Generalin stammte aus der fürstlichen Familie Myschkin, einer zwar
nicht glänzenden, aber sehr alten Familie, und war auf ihre Herkunft
sehr stolz. Eine damals einflußreiche Persönlichkeit, einer jener
Gönner, denen die Gönnerschaft nichts kostet, hatte die Freundlichkeit,
sich für die Ehe der jungen Prinzessin zu interessieren. Er öffnete dem
jungen Offizier die Pforte zur Karriere und gab ihm einen Stoß nach
vorwärts; der aber hätte gar nicht einmal eines Stoßes, sondern nur
eines einzigen Gnadenblickes bedurft, er wäre nicht zugrunde gegangen.
Mit wenigen Ausnahmen verlebten die Gatten die ganze Zeit ihrer langen
Ehe in voller Einmütigkeit. Schon in sehr jungen Jahren hatte es die
Generalin verstanden, als eine geborene Prinzessin und als die Letzte
ihres Geschlechts, vielleicht auch durch ihre persönlichen
Eigenschaften einige sehr hochgestellte Gönnerinnen zu finden. In der
Folgezeit begann sie bei dem Reichtum und dem bedeutenden Dienstrang
ihres Gatten sich in diesem hohen Kreise sogar einigermaßen
einzubürgern.
In diesen letzten Jahren waren die Generalstöchter alle drei
herangewachsen und herangereift: Alexandra, Adelaida und Aglaja.
Allerdings trugen sie alle drei nur den Namen Jepantschin; aber
mütterlicherseits waren sie doch von fürstlicher Abkunft; sie hatten
eine bedeutende Mitgift und einen Vater, der vielleicht Aussicht hatte,
später noch eine sehr hohe Stelle zu erhalten, und, was ebenfalls sehr
wichtig war, sie waren alle drei recht hübsch, auch die älteste,
Alexandra, nicht ausgenommen, die bereits fünfundzwanzig Jahre alt war.
Die mittlere war dreiundzwanzig, und die jüngste, Aglaja, war eben erst
zwanzig geworden. Diese Jüngste war sogar eine wirkliche Schönheit und
begann schon in der Gesellschaft großes Aufsehen zu erregen. Aber auch
das war noch nicht alles: alle drei zeichneten sich durch Bildung,
Verstand und Talente aus. Es war bekannt, daß sie einander innig
liebten und sich gegenseitig in allen Stücken hilfreich waren. Man
wußte sogar von gewissen Opfern zu sagen, die die beiden älteren
zugunsten der jüngsten, die der Abgott des ganzen Hauses war, gebracht
haben sollten. In Gesellschaft neigten sie nicht dazu, sich
vorzudrängen, sondern waren sogar allzu bescheiden. Niemand konnte
ihnen den Vorwurf der Hoffart oder des Dünkels machen; aber doch wußte
man, daß sie ihren Stolz hatten und ihren eigenen Wert kannten. Die
älteste war musikalisch, die mittlere eine begabte Malerin; aber davon
wußte viele Jahre
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