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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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lang fast niemand, und es war erst in der letzten
Zeit und nur zufällig an die Öffentlichkeit gekommen. Kurz, es wurde
über sie außerordentlich viel Lobendes gesprochen. Indessen fehlte es
auch nicht an Übelwollenden. Mit Schrecken redeten diese davon,
wieviele Bücher die jungen Damen gelesen hätten. Mit dem Heiraten
hatten sie es nicht eilig; sie legten zwar Wert auf den Verkehr in
einem gewissen Gesellschaftskreis, aber alles nur mit Maßen. Das war um
so bemerkenswerter, als jedermann die Richtung, den Charakter, die
Ziele und die Wünsche ihres Vaters kannte.
    Es war schon gegen elf Uhr, als der Fürst an der Wohnung des
Generals klingelte. Der General wohnte im zweiten Stockwerk und hatte
ein möglichst bescheidenes, wiewohl seinem Rang entsprechendes Quartier
inne. Dem Fürsten wurde von einem Diener in Livree geöffnet, und es
bedurfte langer Auseinandersetzungen mit diesem Menschen, der ihn und
sein Bündelchen gleich von Anfang an mißtrauisch betrachtete. Endlich,
nachdem er ihm wiederholt auf das bestimmteste erklärt hatte, daß er
wirklich Fürst Myschkin sei und unbedingt den General in einer
notwendigen Angelegenheit sprechen müsse, führte ihn der erstaunte
Diener in ein kleines Vorzimmer vor dem eigentlich beim Arbeitszimmer
gelegenen Wartezimmer, und übergab ihn dort einem andern Diener, der
vormittags in diesem Vorzimmer den Dienst versah und dem General die
Besucher anzumelden hatte. Dieser zweite Diener trug einen Frack, war
über vierzig Jahre alt und hatte eine ernste, wichtige Miene; er stand
Seiner Exzellenz zur speziellen Verfügung, wenn derselbe sich im
Arbeitszimmer befand, und war sich infolgedessen seines Wertes bewußt.
    »Warten Sie im Wartezimmer und lassen Sie Ihr Bündelchen hier!«
sagte er, indem er sich langsam und würdevoll in seinen Lehnstuhl
setzte und mit einem strengen, erstaunten Blick den Fürsten ansah, der
sich ebendort neben ihm auf einen Stuhl niederließ und sein Bündelchen
in der Hand behielt.
    »Wenn Sie erlauben«, sagte der Fürst, »so möchte ich lieber hier bei Ihnen warten; was soll ich dort so ganz allein?«
    »Im Vorzimmer können Sie nicht bleiben, da Sie ein Besucher, das heißt ein Gast, sind. Wollen Sie zum General selbst?«
    Der Diener konnte sich offenbar nicht mit dem Gedanken befreunden,
daß er einen solchen Besucher einlassen solle, und hielt daher für gut,
ihn noch einmal zu fragen.
    »Ja, ich habe ein Anliegen ...«, begann der Fürst.
    »Ich frage Sie nicht, von welcher Art Ihr Anliegen ist; meines Amtes
ist nur, Sie zu melden. Aber ohne Mitwirkung des Sekretärs kann ich
nicht hingehen und Sie melden.«
    Das Mißtrauen dieses Mannes schien immer mehr zu wachsen: der Fürst
war doch auch dem Typus der täglichen Besucher gar zu unähnlich. Zwar
kam es ziemlich oft, fast täglich, zu bestimmter Stunde vor, daß der
General, namentlich in Geschäftsangelegenheiten, Gäste empfing, die
manchmal sehr verschiedenartig aussahen; aber trotz dieser Gewohnheit
und der recht weitherzigen Instruktion war der Kammerdiener in großem
Zweifel; die Vermittlung des Sekretärs schien ihm für die Anmeldung
doch unumgänglich notwendig.
    »Sind Sie wirklich ... aus dem Ausland gekommen?« fragte er schließlich fast unwillkürlich und wurde dabei verlegen.
    Er wollte vielleicht fragen: »Sind Sie wirklich Fürst Myschkin?«
    »Ja, ich komme direkt von der Bahn. Mir scheint, Sie wollten fragen,
ob ich wirklich Fürst Myschkin sei, fragten aber nicht so aus
Höflichkeit.«
    »Hm ...!« brummte der Diener erstaunt.
    »Ich versichere Ihnen, daß ich Sie nicht belogen habe und daß Sie
mit meiner Anmeldung nichts Unverantwortliches begehen. Daß ich aber in
solchem Anzug und mit einem Bündelchen herkomme, dabei ist nichts zu
verwundern; meine Vermögensverhältnisse sind augenblicklich nicht
glänzend.«
    »Hm! Ich hege in dieser Hinsicht keine Befürchtungen, sehen Sie! Ich
bin verpflichtet, Sie zu melden, und dann wird der Sekretär zu Ihnen
herkommen, außer wenn Sie ... Aber das ist es eben: außer wenn ... Wenn
es gestattet ist, möchte ich mir erlauben zu fragen: Sie beabsichtigen
nicht, aus Bedürftigkeit den General um eine Unterstützung zu bitten?«
    »O nein, seien Sie darüber ganz beruhigt! Ich habe ein anderes Anliegen.«
    »Nehmen Sie es mir nicht übel; aber ich fragte im Hinblick auf Ihr
Äußeres. Warten Sie auf den Sekretär; der General selbst ist jetzt mit
einem Oberst beschäftigt, und dann wird auch der Sekretär kommen ... es
ist

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