Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
Vom Netzwerk:
heiterem Ton, »und
somit würden Sie sich immer noch beim Anblick meines Mantels und meines
Bündelchens beunruhigen. Aber jetzt halten Sie es vielleicht nicht
einmal mehr für nötig, auf den Sekretär zu warten, sondern gehen
einfach selbst hin und melden mich an.«
    »Ich darf einen Besucher wie Sie ohne den Sekretär nicht anmelden,
und außerdem hat der General selbst ausdrücklich erst noch vorhin
verboten, ihn um irgend jemandes willen zu stören, solange der Oberst
da ist; nur Gawrila Ardalionowitsch geht ohne Anmeldung hinein.«
    »Ist das ein Beamter?«
    »Gawrila Ardalionowitsch? Nein! Er ist bei einer Aktiengesellschaft angestellt. Legen Sie doch wenigstens Ihr Bündelchen hin!«
    »Ich habe selbst schon daran gedacht. Wenn Sie also erlauben, tue ich es. Sagen Sie, soll ich auch den Mantel ablegen?«
    »Gewiß! Sie können doch nicht im Mantel zu ihm hineingehen.«
    Der Fürst erhob sich, zog sich eilig den Mantel aus und stand nun in
einem ziemlich anständigen, gut gearbeiteten, wiewohl schon
abgetragenen Jackett da. Über die Weste zog sich eine stählerne
Uhrkette hin. An der Kette war eine silberne Genfer Uhr sichtbar.
    Obgleich der Fürst ein Narr war (zu dieser Ansicht war der Diener
bereits gelangt), so schien es dem Kammerdiener des Generals
schließlich doch unpassend, dieses Privatgespräch mit dem Besucher
länger fortzusetzen, trotzdem der Fürst ihm aus einem nicht ganz klaren
Grund gefiel, natürlich nur so in seiner Art. Aber von einem andern
Gesichtspunkt aus erweckte er bei ihm ein entschiedenes, starkes
Mißfallen.
    »Und wann empfängt die Generalin?« fragte der Fürst, indem er sich wieder auf seinen früheren Platz setzte.
    »Das gehört nicht zu meinem Dienst. Sie empfängt zu verschiedenen
Zeiten, je nach der Persönlichkeit. Die Schneiderin wird schon um elf
Uhr vorgelassen. Gawrila Ardalionowitsch wird ebenfalls früher
empfangen als andere, sogar zum ersten Frühstück.«
    »Hier bei Ihnen ist es im Winter in den Zimmern wärmer als im
Ausland«, bemerkte der Fürst; »aber dafür ist es dort auf den Straßen
wärmer als bei uns. So ist es einem Russen kaum möglich, im Winter dort
in den Häusern zu wohnen, weil er da nicht seine gewohnte Wärme hat.«
    »Wird da nicht geheizt?«
    »O doch, aber die Häuser sind anders gebaut, das heißt die Öfen und die Fenster.«
    »Hm! Sind Sie denn lange im Ausland gereist?«
    »Vier Jahre lang. Übrigens habe ich fast immer an einem Ort stillgesessen, auf dem Land.«
    »Da haben Sie sich wohl unserer Verhältnisse entwöhnt?«
    »Das ist richtig. Können Sie es glauben: ich wundere mich über mich
selbst, daß ich das Russischsprechen nicht verlernt habe. Während ich
jetzt mit Ihnen spreche, denke ich: ›Aber ich spreche ja noch ganz
gut.‹ Das ist vielleicht auch der Grund, weshalb ich soviel spreche.
Wirklich, seit gestern habe ich fortwährend Lust, Russisch zu sprechen.«
    »Hm! Haha! Haben Sie früher in Petersburg gewohnt?« (Trotz seiner
Vorsätze brachte der Diener es doch nicht fertig, ein so höflich und
bescheiden geführtes Gespräch seinerseits abzubrechen.)
    »In Petersburg? Fast gar nicht, nur bei Durchreisen. Auch habe ich
früher hier eigentlich nichts gekannt; und jetzt gibt es hier, höre
ich, soviel Neues, daß, wie man sagt, auch wer vorher alles gekannt
hat, jetzt alles von neuem lernen muß. Es wird hier jetzt viel von den
Gerichten geredet.«
    »Hm ...! Von den Gerichten. Die Gerichte, ja, ja, die Gerichte. Aber
wie ist es dort? Geht es da beim Gericht gerechter zu oder nicht?«
    »Ich weiß es nicht. Ich habe über die unsrigen viel Gutes gehört. Da ist ja nun bei uns die Todesstrafe wieder abgeschafft.«
    »Aber dort finden Hinrichtungen statt?«
    »Ja. Ich habe in Frankreich bei einer zugesehen, in Lyon. Schneider hatte mich dazu mitgenommen.«
    »Hängen sie die Menschen auf?«
    »Nein, in Frankreich werden immer die Köpfe abgeschlagen.«
    »Schreit denn der Betreffende dabei?«
    »Bewahre! Es geht in einem Augenblick vor sich. Sie legen den
Menschen hin, und dann fällt mittels einer Maschine (Guillotine heißt
sie) so ein breites Messer mit einem schweren, kräftigen Schlag
herunter ... Der Kopf fliegt ab, ehe man nur mit den Augen blinzeln
kann. Die Vorbereitungen sind allerdings peinlich. Wenn das Urteil
verkündet ist, machen sie den Hinzurichtenden zurecht, binden ihn und
führen ihn auf das Schafott; das ist schrecklich! Das Volk läuft
zusammen, sogar die Weiber, obwohl man es dort nicht gern

Weitere Kostenlose Bücher