Der Idiot
abgesehen, mit Leichtigkeit erlangen. Und jeder andere wäre besser als du, weil du sie vielleicht geradezu umbringen wirst und sie das schon jetzt wohl nur zu gut weiß. Oder weil du sie so heftig liebst? Wirklich, das könnte der Grund sein. Ich habe mir sagen lassen, daß es Frauen gibt, die gerade so geliebt zu werden wünschen ... aber ...«
Der Fürst brach ab und versank in Nachdenken.
»Warum hast du wieder über das Porträt meines Vaters gelächelt?« fragte Rogoschin, der jede Veränderung in dem Gesicht des Fürsten, jede darüber hinhuschende Regung mit der größten Aufmerksamkeit beobachtete.
»Warum ich gelächelt habe? Es kam mir der Gedanke, wenn dir dieses Unglück nicht zugestoßen und diese Liebe nicht über dich gekommen wäre, dann würdest du vielleicht genau so werden wie dein Vater, und zwar in sehr kurzer Zeit. Du würdest allein und wortkarg in diesem Haus sitzen, mit einer gehorsamen, schweigsamen Frau, würdest nur selten und in strengem Ton reden, keinem Menschen trauen, den freundschaftlichen Verkehr mit Menschen auch gar nicht vermissen und nur schweigend und mit finsterer Miene Geld zusammenhäufen. Höchstens würdest du gelegentlich die Bücher der Altgläubigen loben und dich für das Bekreuzen mit zwei Fingern interessieren, und auch das vielleicht erst, wenn du alt geworden wärest ...«
»Spotte nur! Ganz genau dasselbe hat sie neulich gesagt, als sie dieses Porträt ebenfalls betrachtete! Es ist erstaunlich, wie ihr in allen Dingen so ein und derselben Ansicht seid ...«
»Ist sie denn schon bei dir gewesen?« fragte der Fürst interessiert.
»Ja. Sie betrachtete das Porträt lange und stellte viele Fragen über den Verstorbenen. ›Du würdest ganz genau ebenso sein‹, sagte sie endlich lächelnd zu mir. ›Du hast starke Leidenschaften, Parfen Semjonowitsch, solche Leidenschaften, daß du durch sie ohne weiteres nach Sibirien zur Zwangsarbeit kommen würdest, wenn du nicht auch Verstand besäßest; denn du hast einen guten Verstand‹, sagte sie (so drückte sie sich aus, ob du es nun glaubst oder nicht; es war das erstemal, daß ich von ihr eine solche Äußerung hörte!). ›All diese jetzigen Tollheiten würdest du sehr bald beiseite werfen. Und da du ein Mensch ohne alle Bildung bist, so würdest du anfangen, Geld zusammenzuscharren, und würdest wie dein Vater mit deinen Skopzen in deinem Haus sitzen; möglicherweise würdest du zuletzt auch selbst zu ihrem Glauben übertreten, und dein Geld würdest du so liebgewinnen, daß du nicht zwei Millionen, sondern vielleicht zehn Millionen zusammenbringen und auf deinen Geldsäcken Hungers sterben würdest; denn du bist in allen Dingen leidenschaftlich, alles treibst du bis zur Leidenschaft.‹ Genauso redete sie, fast genauso mit diesen selben Worten. Sie hatte noch nie vorher so mit mir geredet! Sie redet ja sonst immer mit mir nur von törichten Dingen oder macht sich über mich lustig; und auch damals hatte sie lachend angefangen; aber dann war sie ganz ernst und düster geworden; sie ging durch dieses ganze Haus und besah es und schien eine Art Schreck darüber zu bekommen. ›Ich werde das alles umändern und anders einrichten‹, sagte ich; ›oder ich kaufe auch vielleicht zur Hochzeit ein anderes Haus.‹ – ›Nein, nein‹, sagte sie; ›hier soll nichts umgeändert werden; wir wollen hier wohnen, wie es ist. Ich möchte bei deiner Mutter wohnen‹, sagte sie, ›wenn ich deine Frau bin.‹ Ich führte sie zu meiner Mutter; sie benahm sich gegen diese ehrerbietig wie eine leibliche Tochter. Die Mutter sitzt schon seit längerer Zeit, schon zwei Jahre, da, als ob sie nicht bei vollem Verstand wäre (sie ist krank), und nach dem Tod des Vaters ist sie ganz wie ein kleines Kind geworden und fügt sich in alles; sie sitzt, ohne aufzustehen, da und verneigt sich nur vor jedem, den sie sieht, von ihrem Platz aus; ich glaube, wenn man sie nicht fütterte, würde sie es drei Tage lang nicht merken. Ich nahm die rechte Hand der Mutter, legte ihr die Finger zurecht und sagte: ›Segnen Sie sie, Mütterchen; sie wird sich mit mir trauen lassen.‹ Da küßte sie meiner Mutter mit herzlicher Empfindung die Hand. ›Deine Mutter‹, sagte sie, ›hat gewiß viel Leid zu ertragen gehabt.‹ Als sie dieses Buch hier in meinem Zimmer sah, wunderte sie sich und sagte: ›Was treibst du denn hier? Du liest russische Geschichte?‹ (Sie hatte aber selbst zu mir einmal in Moskau gesagt: ›Du solltest doch ein bißchen für
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