Der Idiot
Sachverständiger hat sie alle hier besichtigt; er sagte, es sei Schund; aber dieses hier, das Bild über der Tür, das ebenfalls für zwei Rubel gekauft ist, von dem sagte er, es sei kein Schund. Noch bei Lebzeiten meines Vaters fand sich jemand, der ihm dafür dreihundertfünfzig Rubel bot, und Iwan Dmitrijewitsch Saweljew, ein Kaufmann, der ein großer Liebhaber solcher Dinge ist, der ist bis auf vierhundert hinaufgegangen und hat in der vorigen Woche meinem Bruder Semjon Semjonowitsch schon fünfhundert geboten. Aber ich habe es für mich behalten.«
»Das ist ja ... das ist ja eine Kopie nach Hans Holbein«, sagte der Fürst, der nun Zeit gehabt hatte, das Bild genauer zu betrachten; »und wiewohl ich kein großer Kenner bin, so scheint es mir doch eine vorzügliche Kopie zu sein. Ich habe dieses Bild im Ausland gesehen und kann es nicht vergessen. Aber ... was hast du denn ...?«
Rogoschin kümmerte sich auf einmal nicht weiter um das Bild, sondern ging auf dem bisherigen Weg wieder voran. Allerdings ließ sich dieses sprunghafte Wesen durch seine Zerstreutheit und durch die besondere, seltsam reizbare Stimmung, die bei ihm so plötzlich hervorgetreten war, vielleicht erklären; aber trotzdem erschien es dem Fürsten wunderlich, daß Rogoschin ein von ihm selbst begonnenes Gespräch so plötzlich abbrach und ihm nicht einmal antwortete.
»Hör mal, Ljow Nikolajewitsch«, fing Rogoschin wieder an, nachdem er einige Schritte gemacht hatte, »ich wollte dich schon längst fragen: glaubst du an Gott oder nicht?«
»Wie sonderbar du fragst, und ... was du für ein sonderbares Gesicht machst!« äußerte der Fürst unwillkürlich.
»Dieses Bild betrachte ich immer gern«, murmelte Rogoschin nach kurzem Stillschweigen, als ob er seine Frage wieder vergessen hätte.
»Dieses Bild betrachtest du gern?« rief der Fürst, von einem plötzlichen Gedanken überrascht. »Dieses Bild? Aber beim Anblick dieses Bildes kann ja mancher Mensch seinen Glauben verlieren!«
»Ich verliere ihn auch«, war Rogoschins überraschende, bestätigende Antwort.
Sie waren bereits zur Entreetür gelangt.
»Wie?« sagte der Fürst, stehenbleibend. »Was redest du da? Ich habe eigentlich nur im Scherz gesprochen, und du sagst das so ernst! Und warum hast du mich gefragt, ob ich an Gott glaube?«
»Einen besonderen Grund hatte ich nicht dazu. Ich wollte dich schon früher danach fragen. Heutzutage glauben ja viele nicht an ihn. Ob das wohl wahr ist (du hast ja im Ausland gelebt), mir hat einmal so ein Trunkenbold gesagt, bei uns in Rußland gebe es mehr Leute, die nicht an Gott glauben, als in allen andern Ländern? ›Uns‹, sagte er, ›wird es leichter, zum Unglauben zu gelangen, als ihnen, weil wir weiter fortgeschritten sind.‹«
Rogoschin lächelte spöttisch; als er seine Frage ausgesprochen hatte, öffnete er die Tür und wartete mit der Klinke in der Hand darauf, daß der Fürst hinausgehe.
Der Fürst wunderte sich, ging aber hinaus. Der andere trat nach ihm auf den Treppenflur hinaus und machte die Tür hinter sich zu. Sie standen einander mit solchen Gesichtern gegenüber, daß es schien, als hätten sie beide vergessen, wohin sie gekommen seien, und was sie nun zu tun hätten.
»Lebe wohl!« sagte der Fürst und reichte Rogoschin die Hand.
»Lebe wohl!« erwiderte dieser und drückte fest, aber ganz mechanisch die ihm hingestreckte Hand.
Der Fürst stieg eine Stufe hinab und wendete sich dann wieder um.
»Was aber den Glauben betrifft«, begann er lächelnd (er wollte offenbar Rogoschin nicht verlassen, ohne ihm geantwortet zu haben; auch belebte ihn eine plötzlich auftauchende Erinnerung), »was den Glauben betrifft, so hatte ich in der vorigen Woche an zwei Tagen vier verschiedene Erlebnisse. An einem Vormittag fuhr ich auf einer neuen Eisenbahnstrecke und unterhielt mich im Waggon vier Stunden lang mit einem gewissen S., den ich auf der Fahrt kennengelernt hatte. Ich hatte schon früher viel von ihm gehört, unter anderm auch, daß er Atheist sei. Er ist tatsächlich ein sehr gelehrter Mann, und ich freute mich, daß ich mit einem wirklichen Gelehrten reden durfte. Außerdem ist er ein außerordentlich wohlerzogener Mensch und redete infolgedessen mit mir, ganz wie wenn ich ihm an Kenntnissen und Begriffsvermögen gleichkäme. An Gott glaubte er nicht. Nur eines fiel mir auf: daß er über diesen Punkt die ganze Zeit über gar nicht sprach, und das fiel mir gerade deswegen auf, weil es mir auch früher, sooft ich
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