Der Idiot
Tage habe ich sie nicht gesehen, weil ich nicht wage zu ihr hinzufahren; ich fürchte, sie fragt mich: ›Warum bist du hergekommen?‹ Und wie oft hat sie mir Schimpf angetan ...«
»Dir Schimpf angetan? Was redest du!«
»Als ob du es nicht wüßtest! Sie ist ja doch von mir unmittelbar vor der Trauung mit dir weggelaufen; das hast du ja eben selbst gesagt.«
»Aber du wirst doch nicht glauben, daß ...«
»Und hat sie mich nicht mit dem Offizier, diesem Semtjuschnikow, in Moskau betrogen? Ich weiß bestimmt, daß sie es getan hat, und noch dazu, nachdem sie den Tag für die Trauung selbst angesetzt hatte.«
»Das ist unmöglich!« rief der Fürst.
»Ich weiß es sicher«, erklärte Rogoschin im Ton der festesten Überzeugung. »Das liegt nicht in ihrem Wesen, willst du sagen, nicht wahr? Das ist richtig, Bruder, daß das nicht in ihrem Wesen liegt. Aber das ist doch nur leeres Gerede. Dir gegenüber wird sie sich nicht so benehmen und ein solches Betragen vielleicht selbst verabscheuen; aber mir gegenüber benimmt sie sich nun eben so. So ist es nun einmal. Sie betrachtet mich als das niedrigste Geschöpf auf Gottes Erdboden! Und mit Keller, diesem Offizier, der sich so gern boxt, hat sie sich lediglich in der Absicht eingelassen, sich über mich lustig zu machen ... Und du weißt noch nicht, was sie mit mir in Moskau angestellt hat! Und wieviel Geld, wieviel Geld hat mich das alles gekostet ...«
»Aber ... wie in aller Welt kannst du sie denn unter solchen Umständen heiraten? Wie soll denn das später werden?« fragte der Fürst ganz erschrocken.
Rogoschin warf dem Fürsten einen grimmigen, furchtbaren Blick zu und antwortete nicht.
»Ich bin jetzt schon fünf Tage nicht bei ihr gewesen«, fuhr er dann fort, nachdem er ungefähr eine Minute lang geschwiegen hatte. »Ich fürchte immer, daß sie mich wegjagt. Sie sagt: ›Ich bin noch immer meine eigene Herrin; wenn ich will, jage ich dich ganz fort und reise selbst ins Ausland‹ (davon hat sie zu mir schon gesprochen, daß sie ins Ausland reisen wolle«, bemerkte er wie in Parenthese und sah dem Fürsten in ganz besonderer Art in die Augen). »Manchmal allerdings will sie mir damit nur Furcht einjagen; sie möchte sich immer über mich lustig machen; aber zu andern Zeiten ist sie wirklich in finsterer Stimmung, zieht die Augenbrauen zusammen und sagt kein Wort; und das ist's, was ich am meisten fürchte. Neulich dachte ich: ›Ich will doch nicht immer mit leeren Händen zu ihr kommen‹; aber sie lachte nur spöttisch über meine Geschenke und wurde dann sogar ernstlich zornig. Ich hatte ihr einen so schönen Schal geschenkt, daß ihr, trotzdem sie früher im Luxus gelebt hatte, seinesgleichen wohl noch nicht vor Augen gekommen war; den gab sie ihrem Stubenmädchen Katja. Und von dem Termin für die Hochzeit darf ich gar nicht zu reden anfangen. Ich kann mich ja gar nicht als ihren Bräutigam ansehen, wenn ich mich fürchte, auch nur zu ihr hinzugehen. Da sitze ich nun hier, und wenn ich es nicht mehr aushalten kann, dann gehe ich heimlich und verstohlen auf der Straße an ihrem Haus vorbei oder verstecke mich irgendwo hinter einer Ecke. Neulich habe ich beinah bis zum Morgengrauen in der Nähe ihrer Haustür gelauert; ich hatte so einen Verdacht. Aber sie hatte mich wohl durch das Fenster bemerkt und sagte nachher: ›Was würdest du mit mir machen, wenn du sähest, daß ich dich betrüge?‹ Ich konnte mich nicht halten und sagte: ›Das weißt du selbst.‹«
»Was soll sie denn wissen?«
»Woher soll ich es denn selbst wissen?« erwiderte Rogoschin, grimmig auflachend. »In Moskau habe ich sie damals mit keinem abfassen können, obwohl ich lange aufpaßte. Ich nahm sie mir damals einmal vor und sagte zu ihr: ›Du bist mit mir verlobt und willst in eine ehrenhafte Familie eintreten; weißt du jetzt aber auch, was du für eine bist? So eine bist du!‹ sagte ich.«
»Das hast du zu ihr gesagt?«
»Ja.«
»Nun, und sie?«
»›Ich habe jetzt vielleicht nicht einmal Lust‹, sagte sie, ›dich als Lakaien anzunehmen, geschweige denn deine Frau zu werden.‹ – ›Und ich‹, sagte ich, ›gehe mit solchem Bescheid nicht weg; die Sache muß so oder so ein Ende haben!‹ – ›Und ich‹, sagte sie, ›werde gleich Keller rufen und ihm sagen, er solle dich aus dem Haus hinauswerfen.‹
Da habe ich mich auf sie gestürzt und sie geschlagen, daß sie blaue Flecke davon bekam.«
»Es ist nicht möglich!« rief der Fürst.
»Ich sage dir: es
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