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Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Auffälliges dabei, daß er tatsächlich dort Rogoschin getroffen hatte? Er hatte nur einen unglücklichen Menschen gesehen, dessen Seelenstimmung düster, aber sehr begreiflich war. Dieser unglückliche Mensch suchte sich jetzt auch gar nicht mehr zu verbergen. Ja, Rogoschin hatte es vorhin in seiner Wohnung aus irgendeinem Grund abgestritten und geleugnet; aber auf dem Zarskojeseloer Bahnhof hatte er, fast ohne sich verstecken zu wollen, dagestanden. Derjenige, der sich verbarg, hatte dort eher der Fürst zu sein geschienen als Rogoschin. Aber jetzt bei dem Haus hatte er auf der andern Seite der Straße schräg gegenüber in einer Entfernung von etwa fünfzig Schritten mit verschränkten Armen auf dem Trottoir gestanden und gewartet. Hier war er schon vollständig sichtbar gewesen und hatte dies anscheinend auch absichtlich gewollt. Er hatte dagestanden wie ein Ankläger und wie ein Richter, und nicht wie ... Ja, nicht wie wer?
    Aber warum war denn er, der Fürst, jetzt nicht selbst an ihn herangegangen, sondern hatte sich von ihm abgewandt, wie wenn er nichts bemerkt hätte, obwohl doch ihre Blicke einander begegnet waren? (Ja, ihre Blicke waren einander begegnet, und sie hatten sich wechselseitig angesehen.) Er hatte ja selbst vorhin beabsichtigt, ihn bei der Hand zu nehmen und mit ihm zusammen »dorthin« zu gehen. Er hatte ja selbst morgen zu ihm gehen und ihm sagen wollen, daß er bei ihr gewesen sei. Er hatte sich ja, während er noch dorthin ging, auf der Hälfte des Weges, als auf einmal die Freude seine Seele erfüllte, selbst von seinem Dämon losgemacht. Oder lag in Rogoschin, das heißt in der ganzen heutigen Erscheinung dieses Menschen, in der Gesamtheit seiner Worte, Bewegungen, Handlungen und Blicke, wirklich etwas, was die schrecklichen Ahnungen des Fürsten und die aufregenden Einflüsterungen seines Dämons rechtfertigen konnte? Etwas, was sich von selbst dem Auge aufdrängt, aber schwer oder unmöglich zu definieren und darzulegen und mit hinreichenden Gründen zu beweisen ist, aber doch trotz all dieser Schwierigkeit und Unmöglichkeit einen starken, unwiderstehlichen Eindruck macht, der unwillkürlich in eine volle Überzeugung übergeht ...?
    Eine Überzeugung wovon? (Oh, wie quälte den Fürsten »das Ungeheuerliche«, »das Unwürdige« dieser Überzeugung, »dieser unwürdigen Ahnung«, und wie klagte er sich selbst an!) »Sage doch, wenn du es wagst, wovon du überzeugt bist!« sagte er fortwährend vorwurfsvoll und herausfordernd zu sich selbst; »formuliere es; wage es, deinen Gedanken vollständig auszusprechen, deutlich, genau, ohne Schwanken! Oh, ich bin ein Ehrloser!« so schalt er sich immer wieder voll Unwillen und mit der Röte der Scham im Gesicht; »mit welchen Augen werde ich jetzt mein ganzes Leben lang diesen Menschen ansehen! Oh, was ist das für ein Tag! O Gott, welch ein beklemmendes Gefühl!«
    Am Ende dieses langen, qualvollen Weges von der Peterburgskaja gab es einen Augenblick, wo den Fürsten auf einmal ein unbezwingliches Verlangen ergriff, sofort nach Rogoschins Wohnung zu gehen, ihn dort zu erwarten, ihn voller Scham mit Tränen zu umarmen, ihm alles zu sagen und die ganze Sache mit einemmal zu Ende zu bringen. Aber er stand schon vor seinem Gasthof ... Wie sehr hatte ihm heute früh auf den ersten Blick dieser Gasthof mißfallen, diese Korridore, dieses ganze Haus, seine eigenen Zimmer; mehrmals im Laufe des Tages hatte er sich mit besonderem Widerwillen daran erinnert, daß er wieder dahin zurückkehren müsse ... »Aber was ist denn nur mit mir? Ich glaube ja heute wie ein krankes Weib an jede Ahnung!« dachte er nervös und spöttisch, während er im Tor stehenblieb. An eines der Vorkommnisse dieses Tages erinnerte er sich jetzt ganz besonders; aber er tat dies »kaltblütig«, »mit klarem Urteil« und »ohne Beklemmung«. Es fiel ihm plötzlich das Messer ein, das vorhin bei Rogoschin auf dem Tisch gelegen hatte. »Aber warum sollte eigentlich Rogoschin auf seinem Tisch nicht so viele Messer liegen haben, als ihm irgend beliebt?« sagte er, verwundert über sich selbst; und starr vor Staunen erinnerte er sich plötzlich daran, wie er vorhin vor dem Laden des Messerschmiedes stehengeblieben war. »Aber was kann denn da für ein Zusammenhang bestehen!« wollte er ausrufen, sprach aber diesen Gedanken nicht bis zu Ende aus. Ein neuer, unerträglicher Anfall von Schamgefühl, ja fast von Verzweiflung hielt ihn auf seinem Platz, dicht beim Eingang in den Torweg,

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