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Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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ihm lockende Versprechungen gemacht, dann ihm scharf und streng geantwortet, dann ihn aufgefordert, eine Rechtfertigungsschrift zu verfassen, dann deren Annahme verweigert, ihn aufgefordert, eine Bittschrift einzureichen – kurz, er war hier schon über vier Monate herumgelaufen und hatte all seine Mittel aufgezehrt; die letzten Sachen seiner Frau waren ins Leihhaus gewandert, und nun war das Kind geboren, und ... und ... ›heute habe ich auf die eingereichte Bittschrift endgültig einen ablehnenden Bescheid erhalten; und ich habe fast kein Brot mehr, nichts habe ich, und nun ist noch meine Frau niedergekommen. Ich ... ich ...‹
    Er sprang vom Stuhl auf und wandte sich ab. Seine Frau weinte in der Ecke; das Kind begann wieder zu wimmern. Ich zog mein Notizbuch heraus und begann darin zu schreiben. Als ich damit fertig war und mich erhob, stand er vor mir und sah mich in ängstlicher Spannung an. ›Ich habe mir Ihren Namen notiert‹, sagte ich zu ihm, ›nun, und auch alles übrige: den Ort, wo Sie angestellt waren, den Namen Ihres Gouverneurs und die Daten. Ich habe einen Bekannten, noch von der Schule her, er heißt Bachmutow; dessen Onkel ist der Wirkliche Staatsrat Peter Matwejewitsch Bachmutow, der als Departementsdirektor ...‹
    ›Peter Matwejewitsch Bachmutow!‹ rief mein Mediziner, zitternd vor Aufregung. ›Aber das ist ja gerade der Mann, von dem fast alles abhängt!‹
    Tatsächlich nahm die Geschichte meines Mediziners, an deren weiterer Entwicklung ich, durch den Zufall veranlaßt, mitwirkte, nun einen so glücklichen Gang, als ob alles dazu sorgsam vorbereitet gewesen wäre, ganz wie in einem Roman. Ich sagte diesen armen Leuten, sie sollten sich bemühen, auf mich keinerlei Hoffnungen zu setzen; ich sei selbst nur ein armer Gymnasiast (ich setzte mich selbst absichtlich herunter; ich hatte das Gymnasium schon längst absolviert und war nicht mehr Gymnasiast); es habe keinen Zweck, ihnen meinen Namen anzugeben; aber ich würde mich sofort nach der Wasili-Insel zu meinem Kameraden Bachmutow begeben, und da ich zuverlässig wisse, daß sein Onkel, der Wirkliche Staatsrat, ein kinderloser Junggeselle, an seinem Neffen, in dem er den letzten Sproß seines Geschlechts sehe, außerordentlich hänge und ihn sehr in sein Herz geschlossen habe, so ›wird mein Kamerad vielleicht imstande sein, mir zu Gefallen bei seinem Onkel etwas für Sie durchzusetzen ...‹
    ›Wenn mir nur gestattet würde, mich vor Seiner Exzellenz zu rechtfertigen! Könnte ich nur der Ehre teilhaftig werden, die Sache mündlich darzulegen!‹ rief er; er zitterte wie im Fieber, und seine Augen glänzten.
    So drückte er sich aus: ›Könnte ich nur der Ehre teilhaftig werden!‹ Nachdem ich noch einmal wiederholt hatte, die Sache werde wahrscheinlich mißlingen und alles sich als Torheit herausstellen, fügte ich hinzu, wenn ich morgen vormittag nicht zu ihnen käme, so sei die Sache aus, und sie hätten nichts mehr zu erwarten. Sie begleiteten mich unter Verbeugungen hinaus und waren fast wie von Sinnen. Nie werde ich ihren Gesichtsausdruck vergessen.
    Ich nahm mir eine Droschke und fuhr sogleich nach der Wasili-Insel.
    Mit diesem Bachmutow hatte ich auf dem Gymnasium mehrere Jahre lang auf gespanntem Fuß gelebt. Er galt bei uns für einen Aristokraten; wenigstens nannte ich ihn so: er war stets elegant gekleidet und kam in eigener Equipage angefahren; indessen renommierte er nicht, sondern benahm sich stets als guter Kamerad; er war immer außerordentlich heiter und sogar manchmal recht witzig, obgleich es mit seinem Verstand nicht weit her war, trotzdem er in der Klasse immer den ersten Platz innehatte; ich dagegen war nie in irgendeinem Gegenstand der Erste. Alle Kameraden mochten ihn gern leiden, nur ich nicht. Mehrmals hatte er sich mir im Lauf jener Jahre zu nähern versucht; aber ich hatte mich jedesmal mürrisch und gereizt von ihm abgewandt. Jetzt hatte ich ihn schon seit einem Jahr nicht mehr gesehen; er besuchte die Universität. Als ich zwischen acht und neun Uhr abends zu ihm ins Zimmer trat (es war sehr zeremoniös zugegangen, indem ich erst angemeldet worden war), empfing er mich zunächst erstaunt, auch nicht einmal eigentlich freundlich; dann aber wurde er sofort heiter und lachte, mich anblickend, auf einmal laut auf. ›Wie sind Sie denn auf den Einfall gekommen, mich zu besuchen, Terentjew?‹ rief er mit seiner gewöhnlichen liebenswürdigen Ungeniertheit, die manchmal etwas Dreistes, aber nie etwas

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