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Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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ehrlichen, sondern auch herzensguten Menschen ist der Beschützer und Versorger seiner Familie und unterhält und ernährt durch seine Arbeit nicht nur die Seinigen, sondern sogar Fremde; aber was ist das Resultat? Er kann trotzdem sein ganzes Leben lang nicht zur seelischen Ruhe gelangen! Für ihn ist es keineswegs ein beruhigender, tröstlicher Gedanke, daß er seine menschlichen Pflichten so gut erfüllt hat; dieser Gedanke hat sogar im Gegenteil für ihn etwas Aufreizendes: »Also das ist es«, sagt er sich, »worauf ich mein ganzes Leben verwendet habe; das ist es, was mich an Händen und Füßen gebunden hat; das ist es, was mich gehindert hat, das Pulver zu erfinden! Wäre dieses Hindernis nicht gewesen, dann hätte ich vielleicht sicher entweder das Pulver erfunden oder Amerika entdeckt; ich weiß noch nicht genau, was; aber erfunden oder entdeckt hätte ich sicherlich etwas!« Das Charakteristische bei diesen Herren ist dies, daß sie tatsächlich ihr ganzes Leben lang sich nicht recht darüber klarwerden können, was sie eigentlich so eifrig zu erfinden und zu entdecken wünschen, und was für eine Großtat sie eigentlich das ganze Leben hindurch auf dem Sprung standen auszuführen, ob die Erfindung des Pulvers oder die Entdeckung Amerikas. Aber ihre schmerzliche Sehnsucht nach einer solchen Großtat hätte wirklich für einen Kolumbus oder Galilei ausgereicht.
    Gawrila Ardalionowitsch begann gerade sich in dieser Weise zu entwickeln; aber, wie gesagt, er stand erst im Beginn. Er hatte noch die lange Periode der tollen Streiche vor sich. Das tiefe, stetige Bewußtsein seiner Talentlosigkeit und gleichzeitig das unüberwindliche Verlangen, sich davon zu überzeugen, daß er ein durchaus selbständiger Mensch sei, hatten sein Herz schwer verwundet, fast schon von seiner Knabenzeit her. Er war ein junger Mensch mit neidischen, stoßweise heftigen Bestrebungen und hatte anscheinend schon bei der Geburt ein reizbares Nervensystem mitbekommen. Die stoßweise Heftigkeit seiner Bestrebungen hielt er für Stärke derselben. Bei seinem leidenschaftlichen Wunsch, sich hervorzutun, war er manchmal zu den sinnlosesten Sprüngen bereit; aber sowie die Ausführung eines solchen sinnlosen Sprunges nahe heranrückte, war unser Held doch immer zu klug, als daß er sich zu ihm hätte entschließen mögen. Das drückte ihn nieder. Vielleicht hätte er sich bei Gelegenheit sogar zu einer recht gemeinen Handlung verstanden, falls er dadurch etwas von seinen erträumten Zielen hätte erreichen können; aber gerade, wenn es an den entscheidenden Punkt kam, war er jedesmal für die recht gemeine Handlung doch zu ehrlich. (Zu einer gemeinen Handlung kleineren Kalibers war er übrigens jederzeit bereit.) Mit Widerwillen und Haß blickte er auf die Armut und den Niedergang seiner Familie. Selbst seine Mutter behandelte er von oben herab und geringschätzig, obgleich er selbst sehr wohl wußte, daß der gute Ruf seiner Mutter vorläufig den Hauptstützpunkt auch für seine eigene Karriere bildete. Als er mit Jepantschin in Verbindung trat, sagte er sich sofort: »Entschließt man sich einmal, ein Schuft zu sein, dann muß man es auch bis zum Ende bleiben, wenn man nur dadurch sein Spiel gewinnt« – aber er führte die Rolle des Schuftes fast nie bis zu Ende durch. Warum hatte er auch überhaupt gemeint, er müsse unbedingt schuftig handeln? Vor Aglaja hatte er damals einfach Angst bekommen, hatte aber trotzdem die Beziehungen zu ihr nicht abgebrochen, sondern die Sache für jeden Fall in die Länge gezogen, obgleich er nie ernsthaft geglaubt hatte, daß sie sich zu ihm herablassen werde. Als dann seine Affäre mit Nastasja Filippowna spielte, hatte er sich auf einmal die Vorstellung zurechtgemacht, mit Geld lasse sich alles erreichen. »Wenn man ein Schuft ist, dann muß man es auch ordentlich sein!« wiederholte er sich damals täglich selbstzufrieden, aber mit einiger Furcht; »läßt man sich auf Schuftigkeiten ein, dann muß man damit auch bis zum höchsten Gipfel gehen«, sagte er sich alle Augenblicke zu seiner Ermutigung; »gewöhnliche Menschen bekommen es in solchen Fällen mit der Angst, aber wir nicht!« Als er Aglaja verloren hatte und durch die Umstände niedergebeugt war, verlor er vollständig den Mut und stellte tatsächlich dem Fürsten das Geld zu, das ihm damals die wahnsinnige Frau hingeworfen hatte, der es von einem ebenfalls wahnsinnigen Mann gebracht worden war. Daß er das Geld in dieser Weise wieder

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