Der Idiot
Ippolit. »Ich meinerseits habe mir schon gleich am ersten Tag, nachdem ich hierher übergesiedelt war, vorgenommen, mir nicht das Vergnügen zu versagen, Ihnen beim Abschied mit vollster Offenheit meine Meinung zu sagen. Ich beabsichtige, dies eben jetzt zu tun, selbstverständlich nach Ihnen.«
»Und ich ersuche Sie, dieses Zimmer zu verlassen.«
»Reden Sie lieber; sonst werden Sie bereuen, sich nicht ausgesprochen zu haben.«
»Hören Sie auf, Ippolit; das alles ist so unwürdig; tun Sie mir den Gefallen und hören Sie auf!« sagte Warja.
»Nur einer Dame zu Gefallen könnte ich es vielleicht tun«, erwiderte Ippolit lachend und stand auf. »Wenn es Ihnen recht ist, Warwara Ardalionowna, bin ich Ihnen zuliebe bereit, mich kurz zu fassen, aber auch nur, mich kurz zu fassen; denn eine gewisse Auseinandersetzung zwischen mir und Ihrem Bruder ist durchaus notwendig, und ich werde mich unter keinen Umständen dazu entschließen, beim Fortgehen hier eine Unklarheit zurückzulassen.«
»Sie sind ganz einfach eine Klatschschwester!« rief Ganja. »Darum mögen Sie nicht weggehen, ohne Ihre Klatscherei vorgebracht zu haben!«
»Sehen Sie wohl«, bemerkte Ippolit kaltblütig, »Sie haben schon jetzt die Selbstbeherrschung verloren. Wirklich, Sie werden es bereuen, sich nicht ausgesprochen zu haben. Ich trete Ihnen noch einmal das Wort ab. Ich werde warten.«
Gawrila Ardalionowitsch schwieg und machte ein verächtliches Gesicht.
»Sie wollen es nicht. Sie beabsichtigen, Ihrer Rolle treu zu bleiben; nun, wie Sie wollen. Meinerseits werde ich möglichst kurz sein. Ich habe heute zwei-oder dreimal einen Vorwurf in betreff der genossenen Gastfreundschaft gehört; dieser Vorwurf ist ungerecht. Indem Sie mich zu sich einluden, warfen Sie selbst Ihr Netz nach mir aus; Sie spekulierten darauf, daß ich mich an dem Fürsten rächen wolle. Außerdem hatten Sie gehört, daß Aglaja Iwanowna ihre Teilnahme für mich ausgesprochen und meine Beichte gelesen habe. Da Sie aus irgendeinem Grund darauf rechneten, daß ich mich ganz Ihren Interessen widmen würde, so hofften Sie, vielleicht an mir einen Helfer zu finden. Ich will mich nicht eingehender darüber aussprechen! Auch von Ihrer Seite verlange ich weder ein Bekenntnis noch eine Bestätigung; es genügt mir, Sie Ihrem eigenen Gewissen zu überlassen und festzustellen, daß wir einander jetzt vortrefflich verstehen.«
»Aber Sie machen Gott weiß was aus einer ganz gewöhnlichen Sache!« rief Warja.
»Ich habe dir ja gesagt: er ist eine Klatschschwester und ein unreifer Bube«, sagte Ganja.
»Wenn Sie erlauben, Warwara Ardalionowna, werde ich fortfahren. Den Fürsten kann ich natürlich weder lieben noch hochachten; aber er ist entschieden ein guter Mensch, wenn auch recht lächerlich. Aber ihn zu hassen, habe ich absolut keinen Grund; ich habe Ihren Bruder von meiner Gesinnung nichts merken lassen, als er mich gegen den Fürsten aufzuhetzen suchte; ich rechnete eben darauf, ihn am Schluß der Komödie auszulachen. Ich wußte im voraus, daß Ihr Bruder mir zuviel mitteilen und damit einen argen Fehler begehen werde. Und so kam es denn auch ... Ich bin jetzt bereit, schonend mit ihm zu verfahren, aber einzig und allein aus Hochachtung gegen Sie, Warwara Ardalionowna. Aber nachdem ich Ihnen dargelegt habe, daß ich nicht so leicht zu angeln bin, will ich Ihnen auch auseinandersetzen, warum mich so sehr danach verlangt hat, Ihren Bruder in seinen eigenen Augen als Dummkopf hinzustellen. Sie mögen wissen, daß ich das aus Haß tue; das gestehe ich offenherzig. Dem Tod nah (denn ich werde doch bald sterben, obwohl ich dicker geworden bin, wie Sie versichern), dem Tod nah, fühlte ich, daß ich sehr viel ruhiger in das Paradies eingehen würde, wenn ich vorher wenigstens
einen
Vertreter jener zahllosen Menschenklasse als Dummkopf erweisen könnte, die mich mein ganzes Leben lang verfolgt hat, die ich mein ganzes Leben lang gehaßt habe, und für die Ihr hochgeehrter Bruder als hervorragendes Musterbeispiel dienen kann. Ich hasse Sie, Gawrila Ardalionowitsch, einzig deswegen (das kommt Ihnen vielleicht wunderlich vor), einzig deswegen, weil Sie ein Typus, eine Inkarnation, eine Verkörperung und der Gipfelpunkt der frechsten, selbstzufriedensten, gemeinsten, häßlichsten Mittelmäßigkeit sind! Sie sind die aufgeblasene Mittelmäßigkeit, die Mittelmäßigkeit, die in olympischer Ruhe an sich nicht zweifelt; Sie sind die allergewöhnlichste Gewöhnlichkeit! Nicht der kleinsten
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