Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
Vom Netzwerk:
eigenen Idee ist es beschieden, in Ihrem Geist oder in Ihrem Herzen jemals zu keimen. Aber Sie sind maßlos neidisch; Sie sind zwar fest davon überzeugt, daß Sie das größte Genie sind; aber in düsteren Stunden beschleicht Sie doch manchmal der Zweifel, und dann ärgern Sie sich und beneiden andere. Oh, es gibt für Sie noch schwarze Punkte am Horizont; sie werden vergehen, sobald Sie endgültig dumm geworden sein werden, was nicht mehr fern ist; aber es steht Ihnen doch noch ein langer, vielgestaltiger Weg bevor; ich sage nicht, ein heiterer Weg, und freue mich darüber. Zuvörderst aber sage ich Ihnen voraus, daß Sie eine gewisse Person nicht gewinnen werden ...«
    »Nein, das ist unerträglich!« rief Warja. »Sind Sie nun fertig, Sie widerwärtiger Bösewicht?«
    Ganja war blaß geworden, zitterte und schwieg. Ippolit blieb stehen, betrachtete ihn unverwandt und mit Genuß, ließ dann seine Blicke zu Warja hinübergleiten, lächelte, verbeugte sich und ging, ohne noch weiter ein Wort hinzuzufügen, hinaus.
    Gawrila Ardalionowitsch hätte sich mit Grund über sein Schicksal und über das Mißlingen seiner Pläne beklagen können. Eine Weile mochte Warja ihn nicht anreden; ja, sie sah ihn nicht einmal an, als er mit großen Schritten an ihr vorbeiging; schließlich trat er ans Fenster und wandte ihr den Rücken. Warja dachte an die russische Redensart vom Stock mit den zwei Enden. Oben war wieder Lärm zu hören.
    »Willst du gehen?« fragte Ganja, der sich zu ihr umwandte, als er hörte, daß sie sich von ihrem Sitz erhob. »Warte noch einen Augenblick, und sieh dir einmal dies hier an!«
    Er trat zu ihr heran und warf ein kleines, nach Art eines Briefchens zusammengelegtes Zettelchen vor ihr auf den Stuhl.
    »O Gott!« rief Warja und schlug die Hände zusammen.
    Das Billett enthielt nur wenige Zeilen:
     
    »Gawrila Ardalionowitsch! Da ich mich von Ihrer freundlichen Gesinnung gegen mich überzeugt habe, so möchte ich Sie in einer für mich sehr wichtigen Angelegenheit um Ihren Rat fragen. Ich würde Sie gern morgen sprechen, Punkt sieben Uhr früh, auf der grünen Bank. Das ist nicht weit von unserem Landhaus. Warwara Ardalionowna, die Sie unbedingt begleiten soll, kennt diesen Platz ganz genau. A.J.«
     
    »Und dabei soll man auf ihren Charakter Spekulationen gründen!« rief Warwara Ardalionowna, erstaunt die Arme ausbreitend.
    Obgleich Ganja in diesem Augenblick die größte Lust hatte, den Stolzen zu spielen, konnte er doch nicht umhin, sein Triumphgefühl merken zu lassen, noch dazu nach den soeben vorhergegangenen demütigenden Prophezeiungen Ippolits. Ein selbstzufriedenes Lächeln erglänzte unverhohlen auf seinem Gesicht, und auch Warja selbst strahlte vor Freude.
    »Und das schreibt sie gerade an dem Tag, an dem bei ihnen die Verlobung öffentlich bekanntgegeben wird! Dabei soll einer mit ihrem Charakter rechnen!«
    »Was meinst du, worüber sie morgen mit mir reden will?« fragte Ganja.
    »Das ist ganz gleich; die Hauptsache ist, daß sie dich nach sechs Monaten zum erstenmal wieder zu sehen wünscht. Höre auf mich, Ganja: um was es sich auch handeln mag, und wie sich die Sache auch wenden mag, vergiß nicht, daß es für dich wichtig ist! Sehr wichtig! Spiele nicht wieder den Stolzen, mache nicht wieder Fehler, und hüte dich auch davor, ängstlich zu werden! Es hat ihr doch unmöglich entgehen können, zu welchem Zweck ich ein halbes Jahr lang immer hingekommen bin. Und kannst du dir das vorstellen: kein Wort hat sie mir heute davon gesagt; nichts hat sie sich merken lassen. Ich bin nämlich heimlich bei ihnen gewesen; die Alte hat nichts davon gewußt, daß ich da war; sonst hätte sie mich am Ende weggejagt. Ich habe es um deinetwillen riskiert, hinzugehen, weil ich durchaus erfahren wollte ...«
    Wieder erscholl von oben Geschrei und Lärm; mehrere Personen kamen die Treppe herunter.
    »Wir dürfen das jetzt um keinen Preis zulassen!« rief Warja hastig und ängstlich. »Es darf auch nicht die Spur von Skandal vorkommen! Geh hin und bitte um Verzeihung!«
    Aber das Oberhaupt der Familie war schon auf der Straße. Kolja, der die Reisetasche trug, hinter ihm. Nina Alexandrowna stand auf der Freitreppe und weinte; sie wollte ihm nachlaufen; aber Ptizyn hielt sie zurück.
    »Sie fachen seinen Zorn dadurch nur noch mehr an«, sagte er zu ihr. »Er kann ja nirgends hingehen; in einer halben Stunde wird er wieder hierher zurückgebracht werden; ich habe schon mit Kolja darüber gesprochen;

Weitere Kostenlose Bücher