Der Idiot
einen Schritt auf ihn zu trat.
»Ich brauche ja nur den Mund aufzutun, um ...«, schrie Ganja, ohne den Satz zu Ende zu sprechen.
Beide standen einander gegenüber; sie zitterten vor Wut, besonders Ganja.
»Ganja, was sprichst du da!« rief Nina Alexandrowna und stürzte auf ihren Sohn zu, um ihn aufzuhalten.
»So ein törichtes Gerede von allen Seiten!« sagte Warja entrüstet in scharfem Ton. »Hören Sie auf, Mama!« fügte sie hinzu und faßte ihre Mutter an.
»Ich schone Sie nur um der Mutter willen!« rief Ganja pathetisch.
»Rede!« brüllte der General in höchster Wut. »Rede! Ich befehle es unter Androhung meines väterlichen Fluches ... Rede!«
»Na, ich werde mich auch gerade vor Ihrem Fluch fürchten! Wer ist denn daran schuld, daß Sie seit acht Tagen wie verrückt sind? Seit acht Tagen; Sie sehen, ich weiß alles genau nach dem Datum ... Nehmen Sie sich in acht, und treiben Sie mich nicht zum Äußersten; sonst sage ich alles ... Warum haben Sie sich denn gestern zu Jepantschins begeben? Und da nennt er sich noch einen alten Mann, spricht von seinen grauen Haaren und spielt sich als Familienvater auf! Ein netter Patron!«
»Schweig still, Ganja!« rief Kolja. »Schweig still, du Dummkopf!«
»Aber womit habe ich, ich ihn denn beleidigt?« fragte Ippolit hartnäckig, immer noch in demselben spöttischen Ton. »Warum nennt er mich einen Bohrer, wie Sie selbst gehört haben? Er hat sich selbst an mich herangemacht; er kam soeben zu mir und fing an, von einem Hauptmann Jeropegow zu sprechen. Ich wünsche überhaupt nicht, mit Ihnen zu verkehren, General; ich bin Ihnen schon früher aus dem Weg gegangen, wie Sie selbst wissen. Sagen Sie selbst: was geht mich der Hauptmann Jeropegow an? Um des Hauptmanns Jeropegow willen bin ich nicht hierher gezogen. Ich habe ihm nur laut meine Meinung ausgesprochen, daß dieser Hauptmann Jeropegow vielleicht überhaupt niemals existiert hat. Und da hat er einen Höllenlärm gemacht.«
»Zweifellos hat er nicht existiert!« sagte Ganja in scharfem Ton.
Der General stand wie betäubt und blickte nur gedankenlos rings um sich. Die Worte seines Sohnes verblüfften ihn durch ihre ungewöhnliche Offenheit. Im ersten Augenblick konnte er gar keine Worte finden. Erst als Ippolit über Ganjas Antwort laut auflachte und rief: »Na, nun haben Sie es gehört, Ihr eigener Sohn sagt auch, daß es keinen Hauptmann Jeropegow gegeben hat«, erst da murmelte der Alte endlich, ganz verwirrt:
»Kapiton Jeropegow, nicht Hauptmann 1 ... Kapiton ... Oberstleutnant a.D., Jeropegow ... Kapiton.«
»Auch diesen Kapiton hat es nicht gegeben!« rief Ganja, der ganz grimmig geworden war.
»Aber ... warum soll es ihn nicht gegeben haben?« murmelte der General, dem die Röte ins Gesicht stieg.
»So lassen Sie es doch gut sein!« sagten Ptizyn und Warja beschwichtigend zu ihm.
»Schweig still, Ganja!« rief Kolja wieder.
Aber der Umstand, daß sich jemand seiner annahm, hatte die Wirkung, den General wieder zu beleben.
»Wieso soll es ihn nicht gegeben haben? Warum soll er nicht existiert haben?« fuhr er seinen Sohn zornig an.
»Ganz einfach, weil er nicht existiert hat. Er hat eben nicht existiert und kann überhaupt nicht existiert haben. Da haben Sie es! Lassen Sie mich in Ruhe, sage ich!«
»Und das ist mein Sohn ... das ist mein leiblicher Sohn, den ich ... o Gott! Jeropegow, Jerofei Jeropegow soll nicht existiert haben!«
»Na, da sieht man's, bald heißt er Jerofei, bald Kapiton!« warf Ippolit dazwischen.
»Kapiton, mein Herr, Kapiton, nicht Jerofei! Kapiton, Kapiton Alexejewitsch, hören Sie wohl, Kapiton ... Oberstleutnant ... a. D.... er heiratete Marja ... Marja ... Petrowna Su ... Su ... er war mein Freund und Kamerad ... seine Frau war eine geborene Sutugowa; er heiratete sie, als er noch Fähnrich war! Ich habe mein Blut für ihn vergossen, ihn mit meinem Leib gedeckt ... er ist gefallen. Und nun soll Kapiton Jeropegow nicht existiert haben, nicht auf der Welt gewesen sein!«
Nach der Wut, mit der der General schrie, hätte man denken können, es handle sich um etwas weit Wichtigeres, wodurch er zu solchem Geschrei veranlaßt werde. Und wirklich hätte er zu anderer Zeit gewiß weit stärkere Beleidigungen, als es die Bemerkung über Kapiton Jeropegows Nichtexistenz war, ertragen; er hätte wohl ein bißchen Geschrei erhoben, hätte eine Szene gemacht, wäre außer sich gewesen, wäre aber doch schließlich nach seinem Zimmer hinaufgegangen, um sich schlafen zu
Weitere Kostenlose Bücher