Der Idiot
glücklich. Die »phantastischen« Gedanken und Befürchtungen, die er kurz vorher nach dem Gespräch mit Lebedjew gehegt hatte, erschienen ihm jetzt, wenn er plötzlich an sie zurückdachte, was er häufig tat, als ein lächerlicher Traum, der unmöglich in Erfüllung gehen könne! (Und ohnehin hatte er gleich damals und dann den ganzen Tag über dringend, wenn auch unbewußt gewünscht, es dahin zu bringen, daß er an diesen Traum nicht glaubte!) Er redete wenig, und nur wenn er gefragt wurde, und verstummte schließlich ganz, saß da und hörte immer nur zu, schwelgte aber offenbar im Genuß. Allmählich wuchs in ihm selbst eine Art von Begeisterung heran, die bereit war, bei gegebener Gelegenheit zum Ausbruch zu kommen ... Da wollte es der Zufall, daß er ins Reden kam, und zwar ebenfalls durch die Beantwortung einer Frage und, wie es schien, ganz ohne besondere Absichten.
VII
Während er mit hohem Genuß Aglaja betrachtete, die munter mit dem Fürsten N. und Jewgeni Pawlowitsch plauderte, nannte auf einmal der bejahrte Anglomane, der in einer anderen Ecke den Würdenträger unterhielt und ihm mit großer Lebhaftigkeit etwas erzählte, den Namen Nikolai Andrejewitsch Pawlischtschews. Der Fürst wandte sich schnell nach ihrer Seite hin und begann zuzuhören.
Es war von der neuen Ordnung der Dinge die Rede und von gewissen Tumulten auf Gütern im ...sker Gouvernement. Die Erzählungen des Anglomanen mußten wohl ein heiteres Element enthalten, da der Alte schließlich über den galligen Eifer des Erzählers zu lachen anfing. Dieser erzählte in geläufiger Rede, indem er in mürrischer Weise die Worte in die Länge zog und auf die Vokale einen leisen Nachdruck legte, wie er sich, speziell durch die jetzige Ordnung der Dinge, genötigt gesehen habe, ein ihm gehöriges prächtiges Gut im ...sker Gouvernement für den halben Preis zu verkaufen, wiewohl er sich gar nicht in Geldverlegenheit befunden habe, und gleichzeitig ein heruntergekommenes, ertragloses, mit einem Prozeß belastetes Gut zu behalten, bei dem er sogar noch zuzahlen müsse. »Um noch einem Prozeß auch wegen des Pawlischtschewschen Landes zu entgehen, habe ich Reißaus genommen. Noch eine oder zwei solche Erbschaften, und ich bin ruiniert. Ich habe dort übrigens dreitausend Dessätinen vorzüglichen Bodens hinzubekommen.«
»Siehst du wohl ... Iwan Petrowitsch ist mit dem verstorbenen Nikolai Andrejewitsch Pawlischtschew verwandt ... du suchtest ja wohl nach Verwandten desselben«, sagte Iwan Fjodorowitsch halblaut zum Fürsten; er hatte bemerkt, mit welcher Aufmerksamkeit der Fürst das Gespräch verfolgte, und war nun schnell zu ihm getreten.
Er hatte bisher seinen Vorgesetzten, den General, unterhalten, aber schon längst die Vereinsamung Ljow Nikolajewitschs bemerkt und sich darüber beunruhigt; nun wollte er ihn bis zu einem gewissen Grad in das Gespräch hineinziehen und ihn auf diese Weise zum zweitenmal den hohen Persönlichkeiten vorführen und präsentieren. »Ljow Nikolajewitsch ist nach dem Tod seiner Eltern ein Zögling Nikolai Andrejewitsch Pawlischtschews gewesen«, schaltete er ein, als er Iwan Petrowitschs Blick auf sich gerichtet sah.
»Se-ehr angene-ehm«, versetzte dieser; »ich erinnere mich sehr gut. Als Iwan Fjodorowitsch uns vorhin einander vorstellte, habe ich Sie sofort wiedererkannt, sogar am Gesicht. Sie haben sich wirklich äußerlich nur wenig verändert, wiewohl Sie damals, als ich Sie sah, noch ein Kind waren; Sie mochten etwa zehn oder elf Jahre alt sein. Es ist in Ihren Gesichtszügen etwas, was bei mir eine Erinnerung wachruft ...«
»Sie haben mich gesehen, als ich noch Kind war?« fragte der Fürst sehr erstaunt.
»Oh, es ist schon recht lange her«, fuhr Iwan Petrowitsch fort, »in Slatowerchowo, wo Sie damals bei meinen Kusinen lebten. Ich kam früher ziemlich oft nach Slatowerchowo; Sie erinnern sich meiner nicht? Se-ehr leicht möglich, daß Sie sich meiner nicht erinnern ... Sie hatten damals ... Sie hatten damals irgendeine Krankheit, so daß ich einmal sogar über Sie einen Schreck bekam ...«
»Ich kann mich an nichts erinnern!« antwortete der Fürst eifrig.
Beide stellten nun noch mit ein paar Worten die Sache klar, Iwan Petrowitsch in sehr ruhiger, der Fürst in sehr aufgeregter Weise, und es ergab sich, daß die beiden alten Fräulein, die mit dem verstorbenen Pawlischtschew verwandt waren und auf seinem Gut Slatowerchowo lebten und mit der Erziehung des Fürsten von ihm betraut
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