Der Idiot
Ansichten von folgender Art: »Deswegen braucht man den Kopf noch nicht hängenzulassen«, und: »Vielleicht ist es so am besten«, und so weiter. Es wurden allerdings auch Versuche gemacht, Champagner zu verlangen; aber die älteren unter den Gästen hielten die jüngeren zurück. Als alle weggegangen waren, bog sich Keller zu Lebedjew hin und sagte zu ihm: »Wir beide, du und ich, hätten ein großes Geschrei erhoben, eine Schlägerei veranstaltet, uns unwürdig benommen und uns die Polizei auf den Hals gezogen; aber er, siehst du wohl, hat sich neue Freunde erworben, und noch dazu was für welche; ich kenne sie!« Lebedjew, der ziemlich »fertig« war, seufzte und erwiderte: »Er hat es den Weisen und Klugen verborgen und den Unmündigen offenbart; das habe ich schon früher mit Bezug auf ihn gesagt, und jetzt füge ich hinzu: Gott hat auch diesen Unmündigen selbst bewahrt und vom Abgrund errettet. Er und alle seine Heiligen!«
Endlich um halb elf ließen alle den Fürsten allein; der Kopf tat ihm weh; als letzter von allen ging Kolja weg, nachdem er ihm noch behilflich gewesen war, den Hochzeitsanzug mit der Hauskleidung zu vertauschen. Sie nahmen voneinander sehr herzlichen Abschied. Kolja redete nicht über das Geschehene, versprach aber, morgen recht früh wiederzukommen. Er bezeugte später, der Fürst habe ihm bei diesem letzten Abschied nichts von der Zukunft gesagt, also auch vor ihm seine Absichten geheimgehalten. Bald war im ganzen Haus fast niemand mehr zurückgeblieben: Burdowski war zu Ippolit gegangen; Keller und Lebedjew hatten sich zusammen irgendwohin begeben. Nur Wjera Lebedjewa blieb noch einige Zeit in den Zimmern und versetzte sie mit möglichster Beschleunigung aus dem festtäglichen wieder in ihren gewöhnlichen Zustand. Als sie wegging, blickte sie zum Fürsten hinein. Er saß am Tisch, auf beide Ellbogen gestützt, das Gesicht in den Händen verborgen. Sie trat leise an ihn heran und berührte ihn an der Schulter; der Fürst blickte sie verständnislos an und schien sich eine ganze Weile zu besinnen; als er sich dann aber an alles erinnert und sich alles vergegenwärtigt hatte, geriet er plötzlich in große Aufregung. Das Ende war übrigens, daß er Wjera dringend bat, sie möchte doch morgen früh zum ersten Zug um sieben Uhr an seine Tür klopfen. Wjera versprach es; der Fürst bat sie inständig, niemandem etwas davon mitzuteilen; sie versprach auch dies, und zuletzt, als sie schon die Tür geöffnet hatte, um hinauszugehen, hielt der Fürst sie noch ein drittes Mal zurück, ergriff ihre beiden Hände, küßte ihr diese, küßte dann auch sie selbst auf die Stirn und sagte mit einem »ganz besonderen« Gesichtsausdruck zu ihr: »Auf morgen!« So berichtete wenigstens Wjera nachher. Sie ging in großer Angst um ihn fort. Am Morgen fühlte sie sich einigermaßen beruhigt, als sie um sieben Uhr der Verabredung gemäß an seine Tür geklopft und ihn benachrichtigt hatte, daß der Zug nach Petersburg in einer Viertelstunde abgehe; es schien ihr, er habe, als er die Tür öffnete, ganz frisch ausgesehen und sogar gelächelt. Er hatte sich in der Nacht fast gar nicht ausgekleidet, aber doch geschlafen. Er äußerte, möglicherweise werde er noch an demselben Tag zurückkommen. Somit war sie die einzige, der er in diesem Augenblick für möglich und notwendig befunden hatte mitzuteilen, daß er nach der Stadt fahre.
XI
Eine Stunde darauf war er bereits in Petersburg, und zwischen neun und zehn Uhr klingelte er bei Rogoschin. Er hatte das Haus durch den Haupteingang betreten, und es wurde ihm lange nicht geöffnet. Endlich öffnete sich die Tür zur Wohnung der alten Frau Rogoschina, und es erschien die alte, ehrbare Dienerin.
»Parfen Semjonowitsch ist nicht zu Hause«, benachrichtigte sie ihn, in der Tür stehend. »Zu wem wollten Sie?«
»Zu Parfen Semjonowitsch.«
»Er ist nicht zu Hause.«
Die Dienerin betrachtete den Fürsten mit sonderbarer Neugier.
»Sagen Sie mir wenigstens, ob er die Nacht über zu Hause gewesen ist! Und ... ist er gestern allein zurückgekommen?«
Die Dienerin fuhr fort, ihn anzusehen, gab ihm aber keine Antwort.
»War nicht gestern ... gegen Abend ... Nastasja Filippowna mit ihm zusammen hier?«
»Gestatten Sie die Frage, wer Sie selbst sind!«
»Fürst Ljow Nikolajewitsch Myschkin; wir sind sehr gut miteinander bekannt.«
»Er ist nicht zu Hause.«
Die Dienerin schlug die Augen nieder.
»Und Nastasja Filippowna?«
»Davon weiß ich
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