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Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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tatsächlich übel daran getan, liebster Fürst, daß ich mich Ihnen so ganz decouvriere. Aber das kommt daher, daß Sie der erste anständige Mensch sind, auf den ich seit langem gestoßen bin, und da habe ich mich denn auf Sie gestürzt, das heißt, nehmen Sie dieses ›ich habe mich auf Sie gestürzt‹ nicht im physischen Sinne. Sie zürnen mir doch nicht mehr wegen meines Benehmens von vorhin? Ich spreche vielleicht zum ersten Mal seit vollen zwei Jahren frei von der Leber. Hier gibt es sehr wenige ehrenhafte Leute; Ptizyn ist noch der ehrenhafteste. Sie lachen wohl gar, wie mir scheint? Die Schufte haben eine besondere Zuneigung zu ehrenhaften Leuten; haben Sie das noch nicht gewußt? Ich aber bin ja ... Sagen Sie mir übrigens auf Ihr Gewissen: inwiefern bin ich denn ein Schuft? Weil alle, nachdem sie mich einmal einen Schuft genannt hat, es ihr nachsprechen? Und wissen Sie: weil die Leute und sie mich so genannt haben, nenne ich mich auch selbst einen Schuft! Das ist gemein, sehr gemein!«
    »Ich werde Sie jetzt nie mehr für einen Schuft halten«, versetzte der Fürst. »Vorhin hielt ich Sie geradezu für einen Bösewicht, und nun haben Sie mir plötzlich eine so große Freude gemacht! Das soll mir eine Lehre sein, nicht zu verurteilen, wo es einem an Erfahrung fehlt. Jetzt sehe ich, daß man Sie nicht nur für keinen Bösewicht halten darf, sondern überhaupt nicht für einen besonders verdorbenen Menschen. Sie sind meiner Ansicht nach einfach der gewöhnlichste Mensch, den es überhaupt geben kann, nur vielleicht sehr schwach; aber von Originalität ist nicht die Rede.«
    Ganja lächelte im stillen spöttisch, schwieg aber. Der Fürst merkte, daß ihm seine Antwort nicht gefallen hatte, wurde verlegen und verstummte gleichfalls.
    »Hat mein Vater Sie um Geld gebeten?« fragte Ganja auf einmal.
    »Nein.«
    »Er wird es tun; aber geben Sie ihm nichts! Und doch kann ich mich noch an die Zeit erinnern, wo er ein ganz anständiger Mann war. Er hatte Zutritt zu den besten Kreisen. Und wie schnell es mit ihnen zu Ende geht, mit diesen alten, anständigen Leuten! Kaum haben sich die Umstände geändert, so ist auch von dem Früheren nichts mehr vorhanden; es ist, wie wenn Schießpulver abbrennt. Ich versichere Ihnen, er hat früher nicht so gelogen; früher war er nur ein etwas exaltierter Mensch, und nun sehen Sie, wohin sich das schließlich entwickelt hat! Natürlich ist das Trinken daran schuld. Wissen Sie, daß er eine Geliebte aushält? Er ist jetzt nicht mehr ein bloßer unschuldiger Aufschneider. Ich kann die Langmut der Mutter nicht begreifen. Hat er Ihnen von der Belagerung von Kars erzählt? Oder davon, wie bei seiner Troika das graue Seitenpferd zu sprechen anfing? So weit versteigt er sich.«
    Und Ganja schüttelte sich auf einmal nur so vor Lachen. »Warum sehen Sie mich so an?« fragte er dann den Fürsten.
    »Ich wundere mich darüber, daß Sie so herzlich lachen. Ihr Lachen ist wirklich noch ein ganz kindliches. Als Sie vorhin hereinkamen, um sich mit mir zu versöhnen, und sagten: ›Wenn Sie es verlangen, küsse ich Ihnen die Hand!‹, das war ganz in der Art, wie Kinder sich aussöhnen. Also sind Sie solcher Worte und Empfindungen doch noch fähig. Und dann fingen Sie auf einmal an, mir einen ganzen Vortrag über diese dunkle Heiratsangelegenheit und über diese fünfundsiebzigtausend Rubel zu halten. Wahrhaftig, das erscheint alles so ungereimt und wunderlich.«
    »Und was schließen Sie daraus?«
    »Daß Sie vielleicht doch leichtsinnig handeln und gut täten, die Sache vorher gründlich zu überlegen. Möglicherweise hat Warwara Ardalionowna doch recht.«
    »Ah so! Eine Empfehlung der Moralität! Daß ich noch ein Junge bin, weiß ich selbst«, unterbrach ihn Ganja eifrig. »Das geht ja schon daraus hervor, daß ich mit Ihnen ein solches Gespräch geführt habe. Aber ich schreite nicht aus Berechnung zu dieser Ehe, Fürst«, fuhr er, sich verteidigend, fort, wie ein in seinem Ehrgefühl verletzter junger Mann. »Wenn ich aus Berechnung handelte, so würde ich mit Wahrscheinlichkeit Fehler dabei begehen, da weder mein Verstand noch mein Charakter bereits genügend erstarkt sind. Ich tue diesen Schritt aus Leidenschaft, aus innerem Triebe, weil ich schnell zu einem ordentlichen Kapital gelangen möchte. Sie denken wohl, sowie ich die fünfundsiebzigtausend Rubel bekomme, werde ich mir sofort einen Wagen kaufen. Nein, ich werde dann meinen vorvorjährigen Rock ruhig weitertragen und alle meine

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