Der Idiot
vorbeiwälzte und ihm in der Tür sogar ein paar Stöße versetzte. Alle redeten laut miteinander über irgend etwas. Rogoschin selbst ging mit Ptizyn und besprach mit ihm eifrig eine wichtige und anscheinend unaufschiebbare Sache.
»Du hast das Spiel verloren, Ganja!« rief er ihm im Vorbeigehen zu.
Ganja sah ihnen beunruhigt nach.
XI
Der Fürst hatte den Salon verlassen und sich auf sein eigenes Zimmer begeben. Unmittelbar darauf kam Kolja zu ihm gelaufen, um ihn zu trösten. Der arme Junge schien sich jetzt gar nicht mehr von ihm losreißen zu können.
»Sie haben gut daran getan, daß Sie weggegangen sind«, sagte er. »Da wird jetzt der Wirrwarr noch ärger werden, als er bisher war; jeden Tag geht es bei uns so her, und all das hat uns diese Nastasja Filippowna eingebrockt.«
»Da bei euch hat sich viel Krankheitsstoff angesammelt, lieber Kolja!« bemerkte der Fürst.
»Jawohl, viel Krankheitsstoff! Aber wir dürfen uns nicht einmal darüber beklagen; wir sind selbst an allem schuld. Ich habe jedoch einen sehr guten Freund; der ist noch unglücklicher. Ist es Ihnen recht, daß ich Sie mit ihm bekannt mache?«
»Sehr recht ist es mir. Ist er Ihr Schulkamerad?«
»Ja, beinah mein Schulkamerad. Ich werde Ihnen das alles später erklären ... Aber schön ist Nastasja Filippowna; meinen Sie nicht auch? Ich hatte sie noch nie vorher gesehen, obwohl ich großes Verlangen danach hatte. Sie hat mich geradezu geblendet. Ich würde meinem Bruder alles verzeihen, wenn er sie aus Liebe nähme; aber daß er es um des Geldes willen tut, das ist häßlich!« »Ja, Ihr Bruder gefällt mir nicht sonderlich.«
»Na, wie wäre das auch möglich! Wie sollte er Ihnen gefallen, nachdem ... Wissen Sie, ich bin empört, daß die Leute über diese Dinge so verschiedener Meinung sind. Irgendein Irrsinniger oder ein Dummkopf oder ein Bösewicht gibt jemandem eine Ohrfeige, und da ist nun der Betreffende für sein ganzes Leben entehrt und kann die Schmach nur durch Blut abwaschen oder dadurch, daß der andre ihn auf den Knien um Verzeihung bittet. Nach meiner Ansicht ist das abgeschmackt, ein despotischer Zwang. Auf dieser Anschauung beruht Lermontows Drama ›Der Maskenball‹, meiner Ansicht nach ein dummes Stück. Das heißt, ich will sagen, ein unnatürliches Stück. Aber er war ja allerdings beinah noch ein Kind, als er es schrieb.«
»Sehr gut gefällt mir Ihre Schwester.«
»Wie sie Ganja ins Gesicht gespuckt hat! Ja, Warja ist tapfer! Aber Sie haben ihm nicht ins Gesicht gespuckt, und ich bin doch überzeugt, daß Sie es nicht aus Mangel an Mut unterlassen haben. Aber da ist sie selbst, der Wolf in der Fabel! Ich wußte, daß sie kommen würde; sie hat einen anständigen Charakter, wenn sie auch ihre Fehler besitzt.«
»Du hast hier nichts zu suchen!« fiel Warja zuerst über Kolja her. »Geh zum Vater! Belästigt er Sie, Fürst?«
»Durchaus nicht, im Gegenteil.«
»Na also, was redest du, verehrte ältere Schwester! Das ist gleich so eine häßliche Eigenschaft an ihr. Übrigens dachte ich, der Vater würde bestimmt mit Rogoschin weggehen. Wahrscheinlich bereut er jetzt schon, es nicht getan zu haben. Ich will mal zusehen, wie es mit ihm steht«, fügte Kolja hinzu und ging hinaus.
»Gott sei Dank, ich habe Mama fortgebracht und veranlaßt, sich ins Bett zu legen, und es ist nichts Weiteres vorgekommen. Ganja ist verlegen und sehr nachdenklich. Und er hat auch allen Grund dazu. Was hat er da für eine Lehre erhalten ...! Ich bin hergekommen, um Ihnen noch einmal zu danken, Fürst, und Sie zu fragen: hatten Sie Nastasja Filippowna vorher noch gar nicht gekannt?«
»Nein, noch gar nicht.«
»Wie kommen Sie dann dazu, ihr gerade ins Gesicht zu sagen, daß das nicht ihr wahres Wesen sei? Und Sie haben, wie es scheint, damit das Richtige getroffen. Sie ist vielleicht wirklich eine andere, als sie scheinen wollte. Übrigens werde ich nicht aus ihr klug. Sie beabsichtigte sicherlich, uns zu beleidigen; das ist klar. Ich habe auch früher schon manches Seltsame über sie gehört. Aber wenn sie hergekommen war, um uns einzuladen, wie konnte sie sich dann zuerst gegen Mama so benehmen? Ptizyn kennt sie ganz genau; aber er sagt, er habe ihr Verhalten vorhin auch nicht verstehen können. Und wie benahm sie sich gegen Rogoschin? So darf man doch nicht reden, wenn man irgendwelche Selbstachtung besitzt, noch dazu im Hause des eigenen ... Mama ist ebenfalls um Sie sehr beunruhigt.«
»Es hat nichts auf sich«,
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