Der Idiot
vergönnt ist. Aber wenn dem so ist, wie kann ich dann dafür verurteilt werden, daß ich den wahren Willen und die wahren Gesetze der Vorsehung nicht habe begreifen können? Nein, das beste ist schon, die Religion aus dem Spiele zu lassen.
Nun genug! Wenn ich bis zu diesen Zeilen gelangt sein werde, wird gewiß die Sonne schon aufgehen und ›nach alter Weise am Himmel tönen‹, und eine gewaltige, unberechenbare Kraft wird sich über die ganze von ihr beschienene Erde ergießen. Sei es denn! Ich werde sterben, indem ich gerade auf die Quelle der Kraft und des Lebens hinblicke, und ich werde dieses Leben verschmähen! Hätte es in meiner Macht gestanden, nicht geboren zu werden, so würde ich ein an so höhnische Bedingungen geknüpftes Dasein gewiß nicht angenommen haben. Aber es steht noch in meiner Macht, zu sterben, obgleich ich nur einen kargen, schon gezählten Rest hingebe. Das ist keine große Machtäußerung und auch keine große Auflehnung gegen das Schicksal.
Eine letzte Erklärung: ich sterbe ganz und gar nicht deswegen, weil ich nicht imstande wäre, diese drei Wochen noch zu ertragen; oh, meine Kraft würde schon dazu ausreichen, und wenn ich wollte, würde ich schon an dem bloßen Bewußtsein des mir angetanen Unrechts einen ausreichenden Trost haben, aber ich bin kein französischer Dichter und mag solchen Trost nicht. Endlich noch etwas, was mich vielleicht lockt: die Natur hat dadurch, daß sie mir bis zu meiner Hinrichtung nur drei Wochen Frist gegeben hat, meine Tätigkeit dermaßen eingeschränkt, daß vielleicht der Selbstmord die einzige Handlung ist, die nach eigenem Willen anzufangen und zu beenden ich noch Zeit habe. Nun, vielleicht will ich die letzte Möglichkeit zum Handeln benutzen? Auch ein Protest ist manchmal keine kleine Tat ...«
Die »Erklärung« war zu Ende. Ippolit hielt endlich inne ...
Es gibt in extremen Fällen einen höchsten Grad zynischer Offenherzigkeit, bei welchem ein nervöser Mensch, der auf das äußerste gereizt und ganz außer sich geraten ist, nichts mehr fürchtet und zu jedem Skandal bereit ist, ja sogar mit Freuden einen solchen hervorruft; er fällt über andere Menschen her, indem er dabei die unklare, aber feste Absicht hat, sich im nächsten Augenblick unbedingt vom Kirchturm herabzustürzen und dadurch mit einem Schlag alle etwa entstandenen Mißverständnisse zu beseitigen. Ein Merkmal dieses Zustandes ist gewöhnlich auch die herannahende Erschöpfung der physischen Kräfte. Die außerordentliche, fast unnatürliche Anspannung, mit der Ippolit sich bis dahin aufrechterhalten hatte, war nun bis auf diesen höchsten Grad gelangt. An sich erschien dieser achtzehnjährige, von der Krankheit erschöpfte junge Mensch schwach wie ein vom Baum abgerissenes zitterndes Blättchen; aber sobald er Zeit fand, einen Blick über seine Zuhörer gleiten zu lassen – was er jetzt zum erstenmal seit einer ganzen Stunde tat –, prägte sich in seinem Blick und seinem Lächeln sofort der hochmütigste, verächtlichste, »Hören Sie mal, Herr Terentjew«, sagte auf einmal Ptizyn, nachdem er sich von dem Fürsten verabschiedet hatte, und streckte Ippolit seine Hand hin, »Sie reden ja wohl in Ihrem Heft von Ihrem Skelett und vermachen es der Akademie? Meinen Sie damit Ihr eigenes Skelett? Vermachen Sie also der Akademie Ihre eigenen Knochen?«
»Ja, meine Knochen...«
»Soso. Sonst wäre nämlich ein Mißverständnis möglich. Man sagt, ein solcher Fall sei bereits vorgekommen.«
»Warum hänseln Sie ihn?« rief der Fürst.
»Ihm kommen schon die Tränen«, fügte Ferdyschtschenko hinzu.
Aber Ippolit weinte ganz und gar nicht. Er wollte sich von seinem Platz rühren, aber die vier Personen, die ihn umringten, griffen gleichzeitig nach seinen Armen. Man hörte lachen.
»Das hat er ja gerade gewollt, daß man ihn bei den Armen halten soll, dazu hat er ja sein Heft vorgelesen«, bemerkte Rogoshin. »Leb wohl, Fürst! Ach, ich habe zu lange gesessen, die Knochen tun mir weh.«
»Wenn Sie sich wirklich haben erschießen wollen, Terentjew«, sagte Jewgenij Pawlowitsch lachend, »so würde ich an Ihrer Stelle nach all den Komplimenten, die man Ihnen gemacht hat, mich nun gerade nicht erschießen, um die Leute zu foppen.«
»Diese Menschen möchten alle furchtbar gern sehen, wie ich mich erschieße!« warf ihm Ippolit entgegen.
Er sprach, als wollte er auf alle losfahren.
»Und ärgern sich darüber, daß sie es nicht zu sehen bekommen.«
»Also glauben auch Sie
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