Der Idiot
Lisaweta Prokofjewna den Fürsten und Aglaja beim Rendezvous angetroffen und die sonderbaren Worte der letzteren gehört hatte, war sie aus vielen Ursachen sehr erschrocken gewesen, aber als sie nun den Fürsten mit nach Hause genommen hatte, tat es ihr in einer Anwandlung von Feigheit leid, daß sie die Sache angefangen hatte; was war schon dabei, wenn Aglaja sich mit dem Fürsten im Park traf und sich mit ihm unterhielt, selbst wenn es ein vorher verabredetes Rendezvous war?
»Denken Sie nicht, Väterchen Fürst«, begann sie endlich, Mut fassend, »daß ich Sie hierhergeschleppt habe, um Sie einem Verhör zu unterwerfen ... Nach dem gestrigen Abend hatte ich vielleicht überhaupt für lange Zeit nicht den Wunsch, mit Ihnen zusammenzukommen, mein Täubchen...«
Sie stockte ein wenig.
»Aber doch möchten Sie gern wissen, wie es zugegangen ist, daß ich jetzt mit Aglaja Iwanowna zusammen war?« sprach der Fürst ihren Gedanken sehr ruhig zu Ende.
»Nun ja, gewiß möchte ich das!« versetzte Lisaweta Prokofjewna auffahrend. »Ich fürchte mich nicht, offen zu reden, denn ich kränke niemand und beabsichtigte, niemand zu kränken...«
»Aber ich bitte Sie, von Kränkung kann ja nicht die Rede sein, es ist ja sehr natürlich, daß Sie als Mutter das zu erfahren wünschen. Ich habe mich heute morgen Punkt sieben Uhr mit Aglaja Iwanowna bei der grünen Bank getroffen, nachdem sie mich gestern dazu aufgefordert hatte. Sie ließ mich gestern abend durch ein Billett wissen, daß sie mit mir zusammenkommen und über eine wichtige Angelegenheit sprechen müsse. Wir haben uns getroffen und eine ganze Stunde über Dinge gesprochen, die ausschließlich Aglaja Iwanowna angehen. Das ist alles.«
»Natürlich, das wird alles sein, Väterchen, ohne allen Zweifel«, erwiderte Lisaweta Prokofjewna mit würdevoller Miene.
»Sehr gut, Fürst!« sagte Aglaja, die plötzlich ins Zimmer trat.. »Ich danke Ihnen von ganzem Herzen dafür, daß Sie auch mich für außerstande gehalten haben, mich durch eine »Um keinen Preis werde ich ihn wegjagen, er kann bleiben, solange er will.«
»Er wird jetzt nichts anrichten, und... seien Sie nicht zu streng zu ihm!«
»O nein! Warum sollte ich?«
»Und... lachen Sie ihn nicht aus, das ist das allerwichtigste.«
»Oh, durchaus nicht!«
»Ich bin dumm, daß ich einem Mann wie Ihnen das erst noch sage«, sagte Wera errötend. »Aber obwohl Sie müde sind«, fügte sie lachend hinzu, indem sie sich halb umwandte, um fortzugehen, »haben Sie doch in diesem Augenblick so prächtige Augen... so glückliche Augen.«
»Wirklich glückliche?« fragte der Fürst lebhaft und lachte fröhlich auf.
Aber Wera, die sonst natürlich und ungeniert wie ein Knabe war, wurde auf einmal verlegen, errötete noch stärker und ging, immer noch lachend, schnell hinaus.
›Was für ein prächtiges Mädchen...‹, dachte der Fürst, vergaß sie aber im nächsten Augenblick wieder. Er ging in eine Ecke der Veranda, wo eine Chaiselongue mit einem Tischchen davor stand, setzte sich hin, bedeckte das Gesicht mit den Händen und saß so etwa zehn Minuten lang; dann fuhr er auf einmal eilig und unruhig mit der Hand in die Seitentasche und zog die drei Briefe heraus.
Aber die Tür öffnete sich von neuem, und Kolja kam herein.
Der Fürst freute sich ordentlich, daß er die Briefe wieder in die Tasche stecken und den Augenblick verschieben konnte.
»Na, das war heute nacht eine tolle Geschichte!« sagte Kolja, indem er sich auf die Chaiselongue setzte und wie alle Menschen seines Schlages ohne weiteres zur Sache kam. »Was haben Sie jetzt für ein Urteil über Ippolit? Versagen Sie ihm Ihre Achtung?«
»Warum sollte ich das tun?... Aber Kolja, ich bin müde... Außerdem ist es gar zu traurig, davon wieder anzufangen... Aber was macht er jetzt?«
»Er schläft und wird noch zwei Stunden schlafen. Ich verstehe: Sie haben zu Hause nicht geschlafen, sondern sind »Sie haben vierhundert Rubel verloren? Das ist sehr bedauerlich.«
»Und besonders, wo es einen armen Menschen betroffen hat, der ehrenhaft von seiner Arbeit lebt.«
»Gewiß, gewiß, aber wie ist denn das zugegangen?«
»Es ist eine Folge des Weingenusses. Ich wende mich an Sie wie an die Vorsehung, hochgeehrter Fürst. Ich empfing gestern um fünf Uhr nachmittags eine Summe von vierhundert Rubeln von einem Schuldner und kehrte mit dem Zug hierher zurück. Die Brieftasche mit dem Geld hatte ich in der Tasche. Als ich die Uniform mit einem Zivilrock
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