Der Idiot
Sie liebt, einzig und allein Sie? Haben Sie wirklich alle Empfindungen ihrer Seele erkennen können, aber dieses Gefühl nicht bemerkt? Wissen Sie, was hier vorliegt, was diese Briefe bedeuten? Das ist Eifersucht, das ist mehr als Eifersucht! Diese Frau... glauben Sie etwa, daß sie wirklich Rogoshin heiraten wird, wie sie hier in den Briefen schreibt? Wenn wir uns trauen lassen, wird sie sich am nächsten Tag das Leben nehmen!«
Der Fürst fuhr zusammen; das Herz wollte ihm stillstehen. Aber er blickte Aglaja erstaunt an: es war für ihn eine sonderbare Empfindung, zu erkennen, daß dieses Kind schon längst eine Frau geworden war.
»Gott weiß es, Aglaja, daß ich mein Leben opfern würde, um ihr die Ruhe der Seele wiederzugeben und sie glücklich zu machen, aber... ich kann sie nicht mehr lieben, und sie weiß das!«
»So bringen Sie sich zum Opfer, das steht Ihnen doch so gut! Sie sind ja ein so großer Wohltäter. Und sagen Sie nicht ›Aglaja‹ zu mir... Sie haben auch vorhin schon einfach ›Aglaja‹ zu mir gesagt... Sie müssen ihr zu einem neuen Leben verhelfen. Sie sind dazu verpflichtet; Sie müssen mit ihr wieder fortreisen, um ihrem Herzen Frieden und Ruhe wiederzugeben. Und Sie lieben sie ja auch!«
»Ich konnte mich nicht in dieser Weise zum Opfer bringen, obgleich ich es einmal gewollt habe und... vielleicht auch jetzt möchte. Aber ich weiß bestimmt, daß sie mit mir zugrunde gehen würde, und deshalb verlasse ich sie. Ich sollte heute um sieben Uhr zu ihr kommen, aber ich werde jetzt vielleicht nicht hingehen. In ihrem Stolz würde sie mir meine Liebe nie verzeihen, und wir würden beide zugrunde gehen! Das ist unnatürlich, aber hier ist eben alles unnatürlich. Sie sagen, daß sie mich liebt, aber ist denn das wirklich Liebe? Kann man denn, wenn man bedenkt, was ich schon gelitten habe, das für wahre Liebe halten? Nein, das ist etwas anderes, aber nicht Liebe!«
»Wie blaß Sie geworden sind!« rief Aglaja erschrocken.
»Das macht nichts, ich habe wenig geschlafen; ich bin etwas schwach geworden, ich... Wir haben damals in der Tat von Ihnen gesprochen, Aglaja...«
»Also ist das wahr? Sie haben es wirklich fertiggebracht, mit ihr über mich zu sprechen? Und... und wie war es nur möglich, daß Sie mich liebgewonnen haben, da Sie mich doch nur ein einziges Mal gesehen hatten?«
»Ich weiß nicht, wie es hat geschehen können. In meinem Lisaweta Prokofjewna hielt den Fürsten zurück. »Nein, Väterchen«, sagte sie, »geh jetzt nicht weg, tu mir den Gefallen und komm zu mir nach Hause, um mir Aufklärung zu geben!... Was ist das nur wieder für eine neue Qual! Ich habe auch so schon die ganze Nacht nicht geschlafen.«
Der Fürst folgte ihr.
IX
Als Lisaweta Prokofjewna in ihre Wohnung kam, blieb sie gleich im ersten Zimmer; sie war außerstande weiterzugehen und ließ sich ganz kraftlos auf eine Chaiselongue niedersinken, wobei sie sogar vergaß, den Fürsten zum Platznehmen aufzufordern. Es war dies ein ziemlich großer Saal mit einem runden Tisch in der Mitte, einem Kamin, einer Menge Blumen auf Gestellen an den Fenstern, und in der Hinterwand mit einer zweiten Glastür, die nach dem Garten führte. Sogleich kamen Adelaida und Alexandra herein und blickten den Fürsten und ihre Mutter fragend und erstaunt an.
Die jungen Mädchen standen in der Sommerfrische gewöhnlich gegen neun Uhr auf; nur Aglaja hatte es sich in den letzten zwei, drei Tagen angewöhnt, etwas früher aufzustehen und im Garten spazierenzugehen, aber nicht um sieben Uhr, sondern um acht oder noch später. Lisaweta Prokofjewna, die in der Nacht wirklich vor allerlei Sorgen nicht geschlafen hatte, war gegen acht Uhr aufgestanden in der Absicht, Aglaja im Garten aufzusuchen, da sie annahm, daß diese bereits auf sei, hatte sie aber weder im Garten noch in ihrem Schlafzimmer gefunden. Da war sie unruhig geworden und hatte ihre Töchter geweckt. Von dem Dienstmädchen hatte sie dann erfahren, Aglaja Iwanowna sei schon vor sieben Uhr in den Park gegangen. Die jungen Mädchen hatten über die neue Laune ihres romantisch veranlagten Schwesterchens gelächelt und der Mama bemerkt, Aglaja werde es am Ende noch übelnehmen, wenn diese in den Park ginge, um sie zu suchen; sie sitze jetzt gewiß mit einem Buch auf der grünen Bank, von der sie noch vor drei Tagen gesprochen und um derentwillen sie sich beinah mit dem Fürsten Schtsch. gezankt habe, weil dieser an der Lage der Bank nichts Besonderes habe finden können. Als
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