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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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einen Ausspruch, der dann unfehlbar ein geflügeltes Wort und sogar in den allerhöchsten Regionen bekannt wurde, einer jener regierenden Beamten, die gewöhnlich nach einer sehr langen (sogar manchmal erstaunlich langen) Dienstzeit in hohem Rang und in vorzüglichen Stellen und im Besitz großer Geldmittel sterben, obwohl sie keine großen Taten vollbracht und sogar eine gewisse Feindschaft gegen große Taten an den Tag gelegt haben. Dieser General war Iwan Fjodorowitschs unmittelbarer Vorgesetzter im Dienst, und Iwan Fjodorowitsch betrachtete ihn vermöge der warmen Dankbarkeit seines Herzens und sogar aus besonderer Eigenliebe ebenfalls als seinen Wohltäter, obwohl dieser selbst sich ganz und gar nicht als Iwan Fjodorowitschs Wohltäter betrachtete, zwar mit Vergnügen von seinen mannigfachen Diensten Gebrauch machte, aber sich ihm gegenüber ganz gleichgültig verhielt und ihn sofort durch einen andern Beamten ersetzt haben würde, wenn irgendwelche Erwägungen, die gar nicht einmal »höhere Erwägungen« zu sein brauchten, dies wünschenswert gemacht hätten. Ferner war ein älterer, vornehmer Herr anwesend, von dem es sogar hieß, er sei mit Lisaweta Prokofjewna verwandt, obwohl dies gar nicht der Wahrheit entsprach, ein Mann, der einen hohen Rang besaß und ein hohes Amt bekleidete, reich und von guter Familie, behäbig und von sehr guter Gesundheit; er war sehr redelustig und stand sogar in dem Ruf, ein Unzufriedener zu sein (allerdings nur im allerzahmsten Sinne des Wortes) und Galle zu haben (aber auch diese Eigenschaft wirkte bei ihm nur angenehm); er hatte sich die Manieren der englischen Aristokraten zu eigen gemacht und sich auch hinsichtlich des Geschmacks anglisiert (zum Beispiel in bezug auf blutiges Roastbeef, Anspannen von Pferden, Diener und so weiter). Er war ein großer Freund des »Würdenträgers« und stets bemüht, diesen angenehm zu unterhalten; außerdem hegte Lisaweta Prokofjewna aus irgendeinem Grunde die sonderbare Vorstellung, dieser gesetzte Herr (ein etwas leichtsinniger Mensch und großer Liebhaber des weiblichen Geschlechts) werde plötzlich auf den Gedanken kommen, ihrer Tochter Alexandra einen Heiratsantrag zu machen. Auf diese höchste, solideste Schicht der Gesellschaft folgte eine Schicht von jüngeren Gästen, die aber gleichfalls durch sehr vortreffliche Eigenschaften glänzten. Außer dem Fürsten Schtsch. und Jewgenij Pawlowitsch gehörte zu dieser Schicht auch der bekannte, bezaubernde Fürst N., ehemals ein Verführer und Bezwinger von Frauenherzen in ganz Europa, jetzt schon etwa fünfundvierzig Jahre alt, aber immer noch von schönem Äußeren; er verstand vorzüglich zu erzählen, besaß ein bedeutendes, aber etwas in Unordnung geratenes Vermögen und lebte gewohnheitsmäßig meist im Ausland. Endlich waren auch Leute da, die eine dritte besondere Schicht bildeten und an und für sich nicht zu dem »auserwählten Kreis« der Gesellschaft gehörten, denen man aber, ebenso wie der Familie Jepantschin, manchmal aus irgendwelchen Gründen in diesem »auserwählten Kreise« begegnen konnte. Mit einem gewissen Takt, den sie sich zum Grundsatz gemacht hatten, liebten es Jepantschins, in den seltenen Fällen, wo sie geladene Gäste bei sich sahen, die höhere Gesellschaftsschicht mit Angehörigen einer tieferen Schicht, ausgewählten Repräsentanten der »mittleren Sorte« von Menschen, zu mischen. Jepantschins wurden für dieses Verfahren sogar gelobt, und man sagte von ihnen, sie wüßten, wo sie hingehörten, und besäßen ein ausgesprochenes Taktgefühl, und Jepantschins waren stolz auf diese Meinung, die man von ihnen hatte. Einer der Vertreter dieser »mittleren Sorte« war an diesem Abend ein Techniker, Oberst, ein ernster Mensch, ein sehr naher Freund des Fürsten Schtsch. und von diesem bei Jepantschins eingeführt; in Gesellschaft war er übrigens schweigsam; an seinem langen Zeigefinger der rechten Hand trug er einen großen, auffallenden Ring, wahrscheinlich ein allerhöchstes Geschenk. Endlich war auch noch ein Schriftsteller und Dichter anwesend, ein Deutscher, der aber russisch dichtete und überdies ein durchaus anständiger Mensch war, so daß man ihn ohne Gefahr in gute Gesellschaft hineinlassen konnte. Er hatte ein glückliches, wenn auch in gewisser Hinsicht etwas abstoßendes Äußeres, war etwa achtunddreißig Jahre alt, kleidete sich tadellos, gehörte zu einer höchst bürgerlichen, aber zugleich höchst achtbaren deutschen Familie, hatte es

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