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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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zu sich bitten, erzählte ihr, was erforderlich war, und beruhigte sie, denn sie hatte bis dahin immer nach dem Brief gesucht und geweint. Sie bekam einen großen Schreck, als sie erfuhr, daß ihr Vater den Brief weggetragen habe. (Der Fürst erfuhr von ihr erst später, daß sie zu wiederholten Malen bei der geheimen Korrespondenz zwischen Rogoshin und Aglaja Iwanowna behilflich gewesen war; es war ihr gar nicht in den Sinn gekommen, daß dem Fürsten daraus irgendein Nachteil erwachsen könnte...)
    Der Fürst war schließlich in solche Verwirrung geraten, daß, als zwei Stunden darauf ein von Kolja abgeschickter Bote mit der Nachricht von der Erkrankung des Vaters zu ihm gelaufen kam, er im ersten Augenblick nicht begriff, um was es sich handelte. Aber dieser Vorfall brachte ihn wieder zur Besinnung, da er ihn von seinen eigenen Sorgen stark ablenkte. Er verbrachte bei Nina Alexandrowna, zu der der Kranke selbstverständlich gebracht worden war, fast die ganze Zeit bis zum Abend. Er konnte sich fast gar nicht nützlich machen; aber es gibt Menschen, die man in gewissen schweren Augenblicken gern um sich sieht. Kolja war furchtbar ergriffen und weinte krampfhaft, rannte aber doch die ganze Zeit herum: er lief nach einem Arzt und schickte ihrer gleich drei, lief nach der Apotheke und zum Bader. Der General wurde zwar wieder ins Leben zurückgerufen, aber nicht zum Bewußtsein gebracht; die Ärzte sprachen sich dahin aus, der Patient befinde sich »jedenfalls in Gefahr«. Warja und Nina Alexandrowna wichen nicht vom Krankenlager; Ganja war bestürzt und erschüttert, mochte aber nicht nach oben gehen und fürchtete sich sogar, den Kranken zu sehen; er rang die Hände und äußerte, als er mit dem Fürsten sprach, in unzusammenhängender Rede: »So ein Unglück! Und gerade in solch einem Augenblick!« Der Fürst glaubte zu verstehen, von was für einem Augenblick er sprach. Ippolit traf der Fürst nicht mehr in Ptizyns Hause an. Gegen Abend kam Lebedew angelaufen, der nach der morgendlichen Aussprache bis dahin ununterbrochen geschlafen hatte. Jetzt war er beinah nüchtern und vergoß um den Kranken aufrichtige Tränen wie um einen leiblichen Bruder. Er klagte sich laut an, ohne jedoch zu erklären, worin sein Verschulden bestehe, und setzte der armen Nina Alexandrowna mit der alle Augenblicke wiederholten Versicherung zu, er, er selbst, niemand als er sei daran schuld... einzig und allein aus angenehmer Neugier habe er es getan, und der Entschlafene (so nannte er wunderlicherweise den noch lebenden General) sei sogar ein höchst genialer Mensch gewesen. Er betonte mit besonderm Ernst immer wieder dessen Genialität, als ob das in diesem Augenblick irgendwelchen besonderen Nutzen hätte bringen können. Nina Alexandrowna, die seine aufrichtigen Tränen sah, sagte schließlich zu ihm ohne jeden Vorwurf und beinah mit einer Art von Zärtlichkeit: »Wir wollen es gut sein lassen, weinen Sie nicht mehr, Gott wird Ihnen verzeihen!« Lebedew war durch diese Worte und den Ton, in dem sie gesprochen wurden, so gerührt, daß er den ganzen Abend nicht mehr von Nina Alexandrownas Seite weichen wollte (auch an den folgenden Tagen, bis zum Tod des Generals, verbrachte er fast die ganze Zeit vom Morgen bis in die Nacht in diesem Haus). Im Laufe des Tages kam zweimal zu Nina Alexandrowna ein Bote von Lisaweta Prokofjewna, um über das Befinden des Kranken Erkundigungen einzuziehen. Als am Abend um neun Uhr der Fürst im Salon bei Jepantschins erschien, der sich bereits mit Gästen gefüllt hatte, begann Lisaweta Prokofjewna ihn sofort teilnahmsvoll und eingehend nach dem Kranken auszufragen und beantwortete mit ruhigem Ernst die Fragen der alten Bjelokonskaja, was das für ein Kranker und für eine Nina Alexandrowna sei. Dem Fürsten gefiel das sehr. Er selbst redete bei seinem Gespräch mit Lisaweta Prokofjewna »sehr schön«, wie sich nachher Aglajas Schwestern ausdrückten: »Bescheiden, leise, ohne überflüssige Worte, ohne Gestikulationen und mit Würde; in den Salon ist er sehr gewandt eingetreten, sein Anzug war tadellos«; er fiel keineswegs auf dem glatten Fußboden hin, wie er tags zuvor befürchtet hatte, sondern machte sogar offenbar auf alle einen recht angenehmen Eindruck.
    Seinerseits bemerkte er, nachdem er sich hingesetzt und um sich geblickt hatte, sofort, daß diese ganze Gesellschaft durchaus nicht den Schreckgespenstern glich, mit denen ihm Aglaja gestern hatte bange machen wollen, oder den Traumgestalten, die

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