Der Idiot
Denken Sie sich, ich hatte geglaubt, Sie wären... geistreicher...« Beide blickten einander schon mit unverhohlenem Zorn an. Die eine dieser Frauen war dieselbe, die noch vor kurzem so bewegte Briefe an die andere geschrieben hatte. Und das alles war bei der ersten Begegnung und den ersten Worten wie vom Winde weggeblasen. Ja es schien, daß niemand von den vier Menschen, die sich in diesem Augenblick im Zimmer befanden, dies seltsam fand. Der Fürst, der es noch gestern nicht für möglich gehalten hätte, so etwas auch nur zu träumen, stand jetzt da, sah und hörte, als hätte er das alles schon längst vorhergesehen. Der phantastischste Traum hatte sich auf einmal in grelle, aufdringliche Wirklichkeit verwandelt. Die eine dieser Frauen empfand in diesem Augenblick für die andere bereits eine solche Verachtung und wünschte so lebhaft, ihr das zu zeigen (vielleicht war sie auch nur zu diesem Zweck gekommen, wie Rogoshin am nächsten Tag äußerte), daß, mochte auch diese andere mit ihrem zerrütteten Geist und ihrem kranken Herzen noch so phantasiebegabt sein, doch wohl keine vorher gebildete Meinung der giftigen, echt weiblichen Verachtung von Seiten ihrer Rivalin standhalten konnte. Der Fürst war überzeugt, daß Nastasja Filippowna nicht selbst anfangen würde, von den Briefen zu reden; aus ihren funkelnden Blicken konnte er entnehmen, wie sehr sie es jetzt bereuen mochte, diese Briefe geschrieben zu haben; aber er hätte die Hälfte seines Lebens dafür hingegeben, wenn Aglaja jetzt nicht von ihnen gesprochen hätte.
Aber Aglaja schien sich plötzlich zusammenzunehmen und sich mit einemmal wieder in die Gewalt zu bekommen.
»Sie haben mich mißverstanden«, sagte sie, »ich bin nicht hergekommen, um... mit Ihnen zu streiten, obgleich ich Sie nicht liebe. Ich... ich bin zu Ihnen gekommen, um mit Ihnen menschlich zu sprechen. Als ich Sie hierherbat, hatte ich schon meinen Entschluß gefaßt, worüber ich mit Ihnen reden wollte, und von meinem Entschluß werde ich nicht abgehen, auch wenn Sie mich gar nicht verstehen sollten. Das würde Ihr Schade sein, nicht der meinige. Ich wollte Ihnen auf das antworten, was Sie mir geschrieben haben, und zwar persönlich, weil mir das zweckmäßiger schien. Hören Sie also meine Antwort auf alle Ihre Briefe! Mir hat Fürst Lew Nikolajewitsch leid getan, zum erstenmal gleich an dem Tag, an dem ich ihn kennenlernte, und dann, als ich alles erfuhr, was auf Ihrer Abendgesellschaft vorgegangen war. Er hat mir deswegen leid getan, weil er ein so gutherziger Mensch ist und in seiner Naivität glaubte, er könne mit einer Frau... die einen solchen Charakter hat... glücklich sein. Was ich für ihn befürchtet hatte, das traf dann auch ein: Sie konnten ihn nicht lieben, Sie quälten ihn und verließen ihn dann. Sie konnten ihn deswegen nicht lieben, weil Sie zu stolz sind... nein, nicht stolz, ich habe einen falschen Ausdruck gebraucht, sondern weil Sie eitel sind... auch das ist nicht das Richtige: Sie sind selbstsüchtig bis... bis zum Wahnsinn, und ein Beweis dafür sind auch Ihre Briefe an mich. Sie konnten ihn, einen so schlichten Menschen, nicht lieben und haben ihn vielleicht sogar im stillen verachtet und sich über ihn lustig gemacht; Sie konnten nichts weiter lieben als Ihre Schande und den steten Gedanken daran, daß Sie entehrt und beleidigt seien. Wäre Ihre Schande geringer oder wäre sie gar nicht vorhanden, so würden Sie unglücklicher sein...« (Es war für Aglaja ein Genuß, diese Worte zu sprechen, die jetzt eilig hervorsprudelten, die sie aber längst überdacht und sich zurechtgelegt hatte, schon damals, als sie an die jetzige Zusammenkunft noch nicht einmal im Traum gedacht hatte; mit bösem Blick beobachtete sie auf Nastasja Filippownas schmerzverzerrtem Gesicht die Wirkung dieser Worte.) »Sie erinnern sich«, fuhr sie fort, »er schrieb mir damals einen Brief; er sagt, Sie hätten von diesem Brief gewußt und ihn sogar gelesen. Durch diesen Brief habe ich alles verstanden, und richtig verstanden; der Fürst selbst hat es mir neulich bestätigt, das heißt alles, was ich Ihnen jetzt sage, sogar Wort für Wort. Nach Empfang des Briefes begann ich zu warten. Ich sagte mir richtig, daß Sie hierherkommen müßten, weil Sie ohne Petersburg nicht existieren können: Sie sind noch zu jung und zu schön, um sich in der Provinz zu vergraben... Übrigens sind auch das nicht meine Worte«, fügte sie stark errötend hinzu, und von diesem Augenblick an wich die
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