Der Idiot
Gefühlen zu reden; aber Ihnen gegenüber, sehen Sie, rede ich von meinen Gefühlen und schäme mich vor Ihnen nicht. Ich bin menschenscheu und werde vielleicht lange nicht wieder zu Ihnen kommen. Mißdeuten Sie meine Worte nicht: ich sage das nicht etwa, weil mir der Verkehr mit Ihnen nicht von hohem Wert wäre; glauben Sie auch nicht, daß ich mich durch irgend etwas gekränkt fühlte! Sie fragten mich vorhin nach Ihren Gesichtern, und was ich darin bemerkt hätte; ich will es Ihnen mit dem größten Vergnügen sagen. Sie, Adelaida Iwanowna, haben ein glückliches Gesicht, das sympathischste von allen dreien. Ganz abgesehen davon, daß Sie sehr schön sind, sagt man sich bei Ihrem Anblick: ›Sie hat ein Gesicht wie eine gute Schwester.‹ Sie treten einfach und heiter an einen heran, verstehen es aber auch, das Herz schnell zu erkennen. So denke ich über Ihr Gesicht. Auch Sie, Alexandra Iwanowna, haben ein schönes und sehr liebes Gesicht, aber vielleicht haben Sie einen geheimen Kummer; Ihr Herz ist ohne Zweifel sehr gut, aber Sie sind nicht heiter. Sie haben einen besonderen Zug im Gesicht, ungefähr wie die Holbeinsche Madonna in Dresden. Da haben Sie meine Meinung auch über Ihr Gesicht; kann ich gut raten? Sie nehmen ja selbst an, daß ich diese Fähigkeit besitze. Was aber Ihr Gesicht anlangt, Lisaweta Prokofjewna«, wandte er sich plötzlich zur Generalin, »so habe ich auf Grund desselben nicht nur die Vermutung, sondern die Überzeugung, daß Sie ein vollständiges Kind sind, in all und jeder Hinsicht, in allem Guten und allem Schlechten, obwohl Sie bereits in einem solchen Lebensalter stehen. Sie sind doch nicht böse, weil ich das alles so offen ausspreche? Sie wissen ja, wofür ich Kinder halte. Und glauben Sie nicht, daß ich Ihnen das alles über Ihre Gesichter soeben lediglich aus Naivität so freiheraus gesagt habe, o nein, durchaus nicht! Vielleicht hatte auch ich meine besondere Absicht dabei.«
VII
Als der Fürst nun schwieg, blickten alle, selbst Aglaja, namentlich aber Lisaweta Prokofjewna ihn vergnügt an.
»Da habt ihr ihn ja nett examiniert!« rief sie. »Ja, meine verehrten Damen, ihr dachtet, ihr würdet ihn wie einen armen Schlucker protegieren, und nun hat er selbst euch nur gerade noch für eine seiner würdige Gesellschaft erklärt und noch dazu gleich vorher angekündigt, daß er nur selten herkommen werde. Seht ihr wohl, da sind wir nun – worüber ich mich freue – die Blamierten, und am allermeisten Alle sahen einander erstaunt an.
»Wie we-er?« fragte die Generalin gedehnt. »Wie Nastasja Filippowna? Wo haben Sie Nastasja Filippowna gesehen? Was für eine Nastasja Filippowna?«
»Gawrila Ardalionowitsch hat vorhin ihr Bild Iwan Fjodorowitsch gezeigt.«
»Wie? Er hat meinem Manne ihr Porträt gebracht?«
»Nur, um es ihm zu zeigen. Nastasja Filippowna hatte ihm heute ihr Bild geschenkt, und da brachte er es her, um es zu zeigen.«
»Ich will es sehen!« rief die Generalin heftig. »Wo ist dieses Bild? Wenn sie es ihm geschenkt hat, so muß er es haben, und er ist gewiß noch im Arbeitszimmer. Er kommt mittwochs immer her, um hier zu arbeiten, und geht nie vor vier Uhr weg. Laßt Gawrila Ardalionowitsch sogleich herrufen! Oder nein! Ich sehne mich nicht übermäßig danach, ihn zu sehen. Tun Sie mir den Gefallen, bester Fürst, gehen Sie in das Arbeitszimmer, lassen Sie sich von ihm das Bild geben, und bringen Sie es her! Sagen Sie, ich wolle es gern einmal sehen! Seien Sie so freundlich!«
»Er ist ein guter Mensch, aber doch gar zu einfältig«, sagte Adelaida, als der Fürst hinausgegangen war.
»Ja, gar zu einfältig«, stimmte Alexandra ihr bei, »so daß er sogar ein bißchen komisch erscheint.«
Die eine wie die andere schien das, was sie dachte, nicht vollständig auszusprechen.
»Mit unseren Gesichtern hat er sich übrigens gut aus der Affäre gezogen«, bemerkte Aglaja. »Er hat uns allen geschmeichelt, sogar maman.«
»Bitte, keine Spötteleien!« rief die Generalin. »Er hat nicht geschmeichelt, sondern ich fühle mich geschmeichelt.« »Meinst du, daß er sich nur aus der Affäre ziehen wollte?« fragte Adelaida.
»Mir scheint, er ist gar nicht so einfältig«, versetzte Aglaja.
»Was redet ihr da!« ereiferte sich die Generalin. »Meiner Ansicht nach seid ihr noch komischer als er. Er ist ein schlichter Mensch und hat seinen Kopf für sich, selbstverständlich im besten Sinne. Ganz wie ich.«
›Es war gewiß eine Dummheit, daß ich mir das von dem
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