Der Idiot
in gereizter Stimmung. »Sehen Sie, Fürst, bei uns hier gibt es jetzt lauter Geheimnisse, lauter Geheimnisse! Die Etikette verlangt das, obwohl es eine Dummheit ist. Und noch dazu bei einer Sache, bei der die größte Offenheit, Klarheit und Ehrlichkeit erforderlich ist. Es sind Eheschließungen im Werke; aber diese Ehen wollen mir gar nicht gefallen ...«
»Maman, was reden Sie da?« unterbrach Alexandra sie wieder eilig, um sie von weiteren Äußerungen zurückzuhalten.
»Was willst du, liebe Tochter? Gefallen sie denn dir? Daß der Fürst dabei zuhört, tut nichts, wir sind ja Freunde. Ich und er wenigstens. Es heißt: ›Gott sucht sich Menschen‹, aber natürlich gute Menschen; schlechte und launische, die sich heute so entscheiden und morgen wieder anders reden, kann er nicht gebrauchen. Verstehen Sie wohl, Alexandra Iwanowna? Meine Töchter sagen, Fürst, ich sei wunderlich, aber ich habe ein klares, gesundes Urteil. Denn das Herz ist die Hauptsache, und alles übrige ist dummes Zeug. Verstand ist freilich auch nötig, gewiß ... vielleicht ist der Verstand sogar die allergrößte Hauptsache. Lache nicht, Aglaja, ich widerspreche mir nicht: ein Weib mit Herz ohne Verstand ist ebenso unglücklich wie ein Weib mit Verstand ohne Herz. Das ist eine alte Wahrheit. Ich bin ein Weib mit Herz ohne Verstand und du eins mit Verstand ohne Herz; wir sind beide unglücklich und müssen beide viel leiden.«
»Inwiefern sind Sie denn so unglücklich, maman?« konnte Adelaida sich nicht enthalten zu fragen; sie war anscheinend von der ganzen Gesellschaft die einzige, die ihre heitere Stimmung nicht verloren hatte.
»Erstens, weil ich so gelehrte Töchter habe«, schnitt ihr die Generalin das Wort ab. »Und da dies eine schon ganz hinreichend ist, so brauche ich das übrige nicht erst lange aufzuzählen. Aber nun genug des Geredes! Wir wollen einmal sehen, wie ihr beide (von Aglaja rede ich nicht) mit eurem Verstand und mit eurer Redekunst euch herauswickeln werdet, und ob Sie, verehrte Alexandra Iwanowna, mit Ihrem geschätzten Herrn Gemahl glücklich sein werden... Ah!...«, rief sie, als sie den eintretenden Ganja erblickte, »da kommt noch so ein Ehekandidat. Guten Morgen!« erwiderte sie auf Ganjas Verbeugung, ohne ihn zum Sitzen aufzufordern. »Sie wollen eine Ehe eingehen?«
»Eine Ehe?... Wieso?... Was für eine Ehe?...«, murmelte Gawrila Ardalionowitsch ganz verblüfft. Er war schrecklich verlegen.
»Sie wollen heiraten? frage ich, wenn Ihnen dieser Ausdruck lieber ist.«
»N-nein... ich... n-nein«, log Gawrila Ardalionowitsch, und Schamröte ergoß sich über sein Gesicht. Er warf eilig einen Blick auf die abseits sitzende Aglaja und ließ seine Augen schnell wieder weitergleiten. Aglaja sah ihn kalt, gerade und ruhig an, ohne die Augen von ihm abzuwenden, und beobachtete seine Verwirrung.
»Nein? Sie haben nein gesagt?« setzte die unerbittliche Lisaweta Prokofjewna das Verhör beharrlich fort. »Gut, ich werde es mir merken, daß Sie heute, Mittwoch vormittag, auf meine Frage mit Nein geantwortet haben. Was haben wir heute für einen Tag – Mittwoch?«
»Ich glaube, Mittwoch, maman«, antwortete Adelaida.
»Ihr wißt doch nie die Wochentage. Und was für ein Datum?«
»Den Siebenundzwanzigsten«, antwortete Ganja.
»Den Siebenundzwanzigsten? Das ist nützlich zu wissen, wegen einer gewissen Berechnung. Leben Sie wohl, Sie haben sicher viel zu tun, und für mich ist es Zeit, daß ich mich anziehe und ausfahre; nehmen Sie Ihr Bild wieder mit! Empfehlen Sie mich der unglücklichen Nina Alexandrowna!... Auf Wiedersehen, mein lieber Fürst! Kommen Sie recht oft wieder her; ich will jetzt eiligst zu der alten Bjelokonskaja fahren, um ihr von Ihnen zu erzählen. Und hören Sie, mein Lieber: ich glaube, daß Gott Sie speziell meinetwegen aus der Schweiz nach Petersburg geführt hat. Vielleicht haben Sie hier auch noch anderes zu tun; aber hauptsächlich sind Sie meinetwegen hergekommen. Gott hat es mit Absicht so eingerichtet ... Auf Wiedersehen, liebe Kinder! Liebe Alexandra, komm du mit mir!«
Die Generalin ging hinaus. Ganja, ganz verstört, fassungslos, wütend, nahm das Bild vom Tisch und wandte sich mit einem schiefen Lächeln zum Fürsten:
»Fürst, ich gehe jetzt gleich nach Hause. Wenn Sie Ihre Absicht, bei uns zu wohnen, nicht aufgegeben haben, so werde ich Sie hinführen; sonst kennen Sie ja nicht einmal Straße und Haus.«
»Warten Sie, Fürst«, sagte Aglaja, die sich plötzlich von ihrem
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